1821, 10. November.
Mit Felix Mendelssohn-Bartholdy u.a.
Alle Nachmittage macht Goethe das Streicherische Instrument mit den Worten auf: »Ich habe Dich [Felix] heute noch gar nicht gehört: mache mir ein wenig Lärm vor!« Und dann pflegt er sich neben mich zu setzen, und wenn ich fertig bin (ich phantasire gewöhnlich), so bitte ich mir einen Kuß aus oder nehme mir einen. Von seiner Güte und Freundlichkeit macht Ihr Euch gar keinen Begriff, ebenso von dem Reichthum, den der Polarstern der Poeten an Mineralien, Büsten, Kupferstichen, kleinen Statuen, großen Handzeichnungen hat. Daß seine Figur imposant ist, kann ich nicht finden; er ist eben nicht viel größer, als der Vater; doch seine Haltung, seine Sprache, sein Name, die sind imposant. Einen ungeheuren Klang der Stimme hat er, und schreien kann er wie 10000 Streiter. Sein Haar ist noch nicht weiß, sein Gang ist fest, seine Rede sanft. Dienstag wollte Zelter nach Jena und von da nach Leipzig abreisen. Sonnabend war Adele Schopenhauer, die Tochter, bei uns und wider Gewohnheit blieb Goethe den ganzen Abend. Die Rede kam auf unsere Abreise und Adele beschloß, daß wir alle hingehn und uns Professor Zelter zu Füßen werfen sollten und um ein paar Tage Aufschub flehen. Er wurde in die Stube geschleppt und nun brach Goethe mit [151] seiner Donnerstimme los, schalt Professor Zelter, daß er uns mit nach dem alten Nest nehmen wollte, befahl ihm still zu schweigen, ohne Widerrede zu gehorchen, uns hier zu lassen, allein nach Jena zu gehn und wiederzukommen, und schloß ihn so von allen Seiten ein, daß er alles nach Goethes Willen thun wird. Nun wurde Goethe von allen bestürmt, man küßte ihm Mund und Hand, und wer da nicht ankommen konnte, der streichelte ihn und küßte ihm die Schultern, und wäre er nicht zu Hause gewesen, ich glaube, wir hätten ihn zu Hause begleitet wie das römische Volk den Cicero nach der ersten Catilinarischen Rede.
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Nicht wahr: wenn Goethe zu mir sagt: »Mein Kleiner, morgen ist Gesellschaft, da mußt auch Du uns vorspielen!« da kann ich nicht sagen: Nein? »Ach, wer bringt die schönen Tage« [componirt von Fanny Mendelssohn] hat Goethe gehört und sagte zu mir: »Höre mal! das Lied ist sehr hübsch.«
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