1830, Sommer.


Mit Johannes Linder

»Die große, volle Gestalt des einundachtzigjährigen Greises hat etwas Einnehmendes. Sein Gesicht strahlt eine edle Würde aus; man fühlt, daß man vor einem großen Manne steht. Ich mache die schönste Verbeugung, die ich in fünfzehn Wochen herausgebracht habe, und stottere einige schmeichelhafte Worte von der großen Verehrung, die auch die Schweiz Sr. Excellenz schuldet und als deren Organ ich mich in diesem Augenblick anzunehmen bitte. Ein Enkel von zehn Jahren, mit einem herrlichen Gesicht, ist auch in dem großen schönen Zimmer. Ich werde zum Sopha geführt, nachdem Goethe meine Worte mit wenigem und freundlichem Lächeln erwidert hatte .... Goethe faßt mich scharf in's Auge und fängt sein Examen über den Zweck meiner Reise an. Und hier habe ich, ich gestehe es, nicht recht, wie ich sollte, bekannt. Ich habe die Brüdergemeine 1 überschlagen, und gerade durch die Erwähnung von ihr würde ich meinem Minister, wie ich nachher hörte, besonders interessant geworden sein. Hingegen sagte ich ihm doch, ich hatte mich zu denen, [188] die die Bibel buchstäblich verstehen und befinde mich sehr wohl dabei, suche aber gerne auch Andersdenkende auf, weil ich überzeugt sei, daß wir auch von ihnen lernen können. Er billigte sehr die Unbefangenheit und Liberalität in religiösen Sachen. ›Die Hauptsache, die wir brauchen, ist ja sehr einfach und nahe beisammen,‹ sagte er; ›wir brauchen im Grunde gar wenig‹ ..... Er billigte sehr die Idee, auch in der Zeit der Amtsthätigkeit wieder einmal durch eine größere Reise aus dem Gewöhnlichen herauszutreten. Aus Anlaß der Nebenzwecke meiner Reise kamen wir auch auf die Armenversorgung zu reden. Als ich meinen Weidspruch anführte: die außergewöhnlichen Anstalten, die besonders in unserm Jahrzehnd für die Armenerziehung gemacht werden, seien das Werk des Samariters, der Priester- und Levitenstand dürfe aber nicht müßig vorübergehn, denn ihm sei seit Jahrhunderten die Sorgfalt für die Armuth besonders in die Hände gelegt, so konnte er nicht umhin, diesen Gedanken mit besonderer Huld aufzufassen, und mich für denselben mit einem Händedruck zu belohnen .... Herr Minister fragte auch, ob ich schon bei dem Herrn Superintendenten gewesen sei? ›O besuchen Sie doch ja unsern lieben Röhr; sie werden an ihm einen ganz vorzüglichen Mann finden.‹ Ich blieb etwa eine halbe Stunde da. Noch sprach er eine Zeit lang stehend mit mir und wünschte mir von Herzen Glück auf die Reise. Der Abschied war wirklich recht herzlich, mit Händedruck. [189] Er begleitete mich bis an die Thüre und hieß dann seinen Enkel mich herunter begleiten.«


Note:

1 In der Linder (geb. 1790) erzogen worden war, und deren nähere Kenntniß; den Hauptzweck seiner Reise ausmachte.

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