1815, 3. August.


Mit Sulpiz Boisserée

Spaziergang von halb elf Uhr bis Mittag, mit Goethe, vor dem Kursaal, dann Essen daselbst. Nach Tisch spazierten wir am Teich, hinter dem Kursaal, lustige Leute segeln auf einem Boote.

Es muß nun ein Schema entworfen werden über den Bericht.

Die Gesellschaft kommt wieder zur Sprache, und daß ich ganz besonders seit vorigem Jahr meine Gedanken darauf gerichtet, und ihn in meinem Sinn zum Präsidenten gemacht habe. Gneisenau frug mich früher, warum ich mich immer zurückgehalten? Aus Mangel an Autorität und des wahren Augenblicks. Jetzt ist er da, die Sache macht sich ganz von selbst, es sind natürliche Forderungen. Übertreibungen einerseits, Armuth andererseits.

Der ganze Rhein von Basel herunter muß ins Spiel gezogen werden, das Elsaß, das Straßburger Münster mit seinem erhaltenen Werk und seiner Dotation, dagegen der Kölner Dom ganz verarmt ist.

[188] Goethe will seine Werke neu herausgeben, in zwanzig Bänden. Zwei Bände Gedichte, statt einem. Er spricht über seine Arbeiten. Die italienische Reise; Einseitigkeit; sein Haß gegen das Deutsche; die gothische Architektur; gegen das Klima u.s.w. ist darin ausgesprochen. Er hat vollständige Tagebücher und alle Briefe von den Freunden zurückerhalten, damit einen vollkommenen Kalender mit Rechnungen, Trinkgelder etc. zu Stande gebracht. Sicilien wurde kurz vor ihm von Bartels, der es beschreiben wollte, und andern bereist; Riedesels Buch führte er mit sich, da hatte er nicht die geringste Berichtigung zu machen. Alles ist aus dem Leben, und der Eindruck des Lebens, was er in seinen Briefen niedergelegt hat; das macht sich nun einmal hübsch. Neapel ebenfalls, unendlich heiter. Rom immer mühselig, ernsthaft; dabei nimmt er die Anleitung von Winckelmanns Geschichte immer zur Richtschnur auf seinen Wegen.

Die Reise ist meist ausgearbeitet, aber vorher muß noch der vierte Band von Dichtung und Wahrheit ausgeführt werden, wozu auch viel daliegt; dieser geht, bis der Verfasser nach Weimar kömmt.

Seine neueste Arbeit ist der Divan. Aneignung des Orientalismus; Napoleon, unsere Zeit, bieten reichen Stoff dazu. Timur, Dschengis-Chan, Naturkräften ähnlich, in einem Menschen erscheinend. Die Freiheit der Form ist abgerissen, einzeln; und doch bringt er von den Alten mehr Bildung und Bildlichkeit mit. Das [189] ist gerade das Einzige, was den Orientalen abgeht, die Bilder. Goethe sagt: »In so weit sei er so eitel und übertrieben, zu sagen, daß er darüber stehe, und das Alte und Neue verbinde.«

Er las mir eine sinnreiche Introduction, eine Exposition des ganzen Orientalismus und seines eigenen Verhaltens dazu vor. Dieß letztere zuerst anfangend, von dem Gegensatz der Zeit, und Trost suchend im Orient. Talismane, Amulete, Abraxas, Siegelring der Araber. Hafiz, der Korankundige, wurde zum Eigennamen des Dichters; Goethes Gedicht an ihn vergleicht sich mit ihm, weil er sich die Bibel angeeignet, wie das göttliche Angesicht sich auf das Tuch abgedrückt hat.

Gedicht an Diez, Orientalist in Berlin, Herausgeber des Buchs Kabus, und einer Schrift über die Tulpen, von ihm mit Gold beschrieben.

An alle Orientalisten sollen solche Lobgedichte folgen.

Ich erzählte ihm von Palästina, vom Grab der Maria, von der Verehrung der Mohamedaner dafür. Hadrian ließ die Statuen von Adonis und Venus auf die Geburtsstätte Jesu stellen. Goethe bemerkte, bei den Mohamedanern sei Maria die heilige Frau im höhern Paradies; dort auch vier Thiere. Ich meinte, wohl in Bezug auf die vier Flüsse?

Später klagte er über Unredlichkeit der Schlegel und Tiecks. »In den höchsten Dingen versiren und daneben Absichten haben und gemein sein, das ist[190] schändlich. Ach, und wenn Ihr nur wüßtet, wie es zugegangen. Wenn ich mit der italienischen Reise fertig bin, werde ich es ihnen einmal recht klar und grell aufdecken. Komme ich ja dann schon in die letzten achtziger Jahre und in den Anfang der neunziger, wo das ganze Treiben schon begann. Schiller war ein ganz Anderer, er war der letzte Edelmann, möchte man sagen, unter den deutschen Schriftstellern: sans tâche et sans reproche. Im Spinoza können wir es gleich nachschlagen, was es ist bei diesen Herren: es ist der Neid. Diesen und das Böse nennt er die Traurigkeit, und alles Liebe und Gute die Freude. Man müßte nur sagen mit allem Gleichmuth: wir sind betrübt über der Herren ihre Traurigkeit! Zu den Menschen habe ich immer eine wahre Wuth gehabt; im dritten Band findet sich davon schon der Anfang, aber im vierten wird es sich erst recht zeigen.«

»Ich führe,« sagte Goethe weiter, »die Ethik von Spinoza immer bei mir; er hat die Mathematik in die Ethik gebracht, so ich in die Farbenlehre, das heißt: da steht nichts im Hintersatz, was nicht im Vordersatz schon begründet ist.«

Dann kommt er auf den Faust; der erste Theil ist geschlossen mit Gretchens Tod, nun muß es par ricochet noch einmal anfangen; das sei recht schwer, dazu habe jetzt der Maler eine andere Hand, einen andern Pinsel, was er jetzt zu produciren vermöchte, würde nicht mit dem Frühern zusammen gehen. Ich erwiderte: Er [191] dürfe sich keine Skrupel darüber machen, ein anderer vermöchte sich in einen andern zu versetzen, wie viel eher doch der Meister in seine frühern Werke. – Goethe: »ich gebe es gerne zu, Vieles ist auch schon fertig.« – Ich frage nach dem Ende. – Goethe: »das sage ich nicht, darf es nicht sagen, aber es ist auch schon fertig, und sehr gut und grandios gerathen, aus der besten Zeit.« – Ich denke mir, der Teufel behalte Unrecht. – Goethe: »Faust macht im Anfang dem Teufel eine Bedingung, woraus Alles folgt.« – Faust bringt mich dazu, wie ich von Napoleon denke und gedacht habe. Der Mensch, der Gewalt über sich selbst hat und behauptet, leistet das Schwerste und Größte. Das ist in den Geheimnissen so schön ausgesprochen. Es war dann die Rede von den vielen Irrthümern in der Welt – und wieder von den glücklichen Blicken in der Wissenschaft – er sei überzeugt, es lasse sich Alles auf feste Principien bringen, wie die Mathematik.

»Alles ist Metamorphose im Leben, bei den Pflanzen und bei den Thieren, bis zum Menschen und bei diesem auch. Je vollkommener, je weniger Fähigkeit aus einer Form in die andere überzugehen.« – »Ach Gott, es ist Alles so einfach und immer dasselbe, es ist wahrhaftig keine Kunst unser Herrgott zu sein, es gehört nur ein einziger Gedanke dazu, wenn die Schöpfung da ist. Was vorher war, geht mich nichts an. Aber so einfach und so leicht der Gedanke ist, so schwer lassen [192] es sich die Menschen werden, Alles zu zerstückeln. – Ich meine, wie sollte das Zerstückelte auch anders als wieder selbst zerstückeln? Die Thorheit der indischen Büßer, wie sie die Einsiedelei suchen, ist nur ein Beweis, wie die Menschen immer, wenn sie etwas von der Wahrheit gemerkt, dann gleich wieder den irrigen Weg dahin einschlagen, das ist nun so die Welt.«

Das Gespräch fing eigentlich mit der Mineralogie an, wovon er mir Leonhards nächst erscheinendes Werk empfohlen.

Die Geheimnisse, sagte Goethe, habe er zu groß angefangen, wie so Vieles. – Die zwölf Ritter sollten die zwölf Religionen sein, und alles sich nachher absichtlich durcheinander wirren, das Wirkliche als Mährchen und dieß umgekehrt, als die Wirklichkeit erscheinen.

Nachmittags: Von der Eitelkeit, Freude am Dasein, am Nichtigen. Goethe: »Es ist kein so großes Übel als gemeinhin daraus gemacht wird; nicht so ernst zu nehmen, daß es erst wichtig wird, wie heut zu Tage geschieht.« – Er will in die Gesellschaft der verrückten Hofräthe aufgenommen werden. Er meint, der Spaß sei ganz allerliebst; das hätte Behrisch ganz ähnlich gesehen. Aber man müsse ihm ein gutes ob ins Diplom geben, ob varietatem scientiarum?

[Die Aufnahme in Dr. Ehrmann's »Orden der verrückten Hofräthe« erfolgte unter Angabe des Grundes, der mit ob angeführt wurde; bei Goethe: ob orientalismum occidentalem.]

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