1827, 23. August.


Mit Friedrich von Müller u.a.

Ich traf ihn mit seinem Sohn und Töpfern bei Tische. Tagebücher der Jenaischen Bibliotheksmänner wurden vorgezeigt und deren ausnehmender Nutzen, wie überhaupt der Tagebücher und Agenda, gepriesen. »Wir schätzen ohnehin die Gegenwart zu wenig,« sagte er, »thun die meisten Dinge nur frohnweise ab, um ihrer los zu werden. Eine tägliche Übersicht des Geleisteten und Erlebten macht erst, daß man seines Thuns gewahr und froh werde, sie führt zur Gewissenhaftigkeit. Was ist die Tugend anderes als das wahrhaft Passende in jedem Zustande? Fehler und Irrthümer treten bei solcher täglichen Buchführung von selbst hervor, die Beleuchtung des Vergangenen wuchert für die Zukunft. Wir lernen den Moment würdigen, wenn wir ihn alsobald zu einem historischen machen.«

Das Gespräch kam auf die Sängerin Sonntag und nahm die heiterste und humoristischste Wendung. Er sprach von seinem Gedicht auf sie, das ihr noch verborgen, nur durch ein zweites könne es producibel werden. Sie besitze ein wahrhaft characteristisches[173] Profil, eigensinnige Selbstständigkeit und grandiose Festhaltung an Ideen ausdrückend, fast Proserpinenartig; aber nur einmal, bei einer raschen Wendung des Gesichts, als sie etwas widersprechen zu müssen glaubte, sei dieses Profil hervorgetreten. »Und gerade deßhalb achte und liebe ich sie,« versicherte er, »nicht der sentimentalen oder graziös-naiven Mienen wegen, die sie sich antrillirt.«

Witz auf Witz entquoll den beredten Lippen, heiterste und pikanteste Ausfälle nach allen Seiten. »Ich wirke nun 50 Jahre in meinen öffentlichen Geschäften nach meiner Weise, als Mensch, nicht kanzleimäßig, nicht so direct und folglich etwas minder platt. Ich suche jeden Untergebenen frei im gemessenen Kreise sich bewegen zu lassen, damit er auch fühle, daß er ein Mensch sei. Es kommt Alles auf den Geist an, den man einem öffentlichen Wesen einhaucht und auf Folge.«

Dann sprach er von Zelter's herrlichem Bilde von Vegas und wir fuhren aus.

Gelegentlich des Eckendahl'schen Namens, bemerkte er: »die Sachsen, vornehmlich die Ostfriesen, hatten von jeher mehr Cultur als die südlichern Deutschen. Was ist Cultur anderes als ein höherer Begriff von politischen und militärischen Verhältnissen? Auf die Kunst sich in der Welt zu betragen und nach Erfordern dreinzuschlagen, kommt es bei den Nationen an.«

Als er auf die Frau Großfürstin zu sprechen kam, äußerte er, wie er sie ganz vorzüglich wegen ihrer [174] entschiedenen praktischen Richtung, großen Aufmerksamkeit auf alles und vorurtheilsfreien Auffassung der menschlichen Zustände verehre. Immer sei sie gegen ihn dieselbe, gerade da wieder anknüpfend, wo sie zuletzt mit ihm zu irgend einem Punkte gelangt sei.

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