1825, Mai (?).
Mit Wilhelm Dorow
In Weimar ward Dorow mit einem splendiden Frühstück bei Goethe regalirt; die Aufnahme war sehr freundlich, und er sagte, als Dorow seine Versetzung in den Ruhestand erzählte: »Jetzt sind Sie in Ihren Lebensverhältnissen dahin gelangt, wohin man zu kommen streben muß, wenn man in einem Fache etwas Tüchtiges leisten will: Sie haben Unabhängigkeit erlangt. Ein großes Glück! ein Gut, welches wenigen Menschen zutheil wird.« – Jetzt, nachdem Reichardt todt, brachte Goethe das Gespräch selbst auf denselben, ließ sich viel von seinen letzten Tagen, seinem Tode erzählen, und schien besonders an Karl v. Raumer, dem Mineralogen, Interesse zu nehmen. Dorow empfand große Freude über die Wärme, mit welcher Goethe von Reichardt sprach. Auf Dorow's Äußerung, daß er nicht begriffe, wie man die Compositionen des alten plumpen Zelter, denen Zartheit und Phantasie [208] fehlen, den Reichardt'schen vorziehen könne, und daß man wohl nur das Gefühl, den guten Geschmack preisgebe, um Parteileidenschaft und Haß zu befriedigen, machte Goethe ein sehr unfreundliches Gesicht und sagte: »Reichardt war ein sehr reich begabter Mann: seine Compositionen meiner Lieder sind das Unvergleichlichste, was ich in dieser Art kenne. Ich habe in Giebichenstein mit Ihrem Onkel sehr glückliche Tage verbracht. Möge es seiner vortrefflichen Wittwe wohlgehen!«
Darauf kam Goethe auf Spontini und meinte, Reichardt's Abneigung gegen Mann und seine Werke käme aus einer zu großen Freundschaft für Cherubini, und äußerte sich tadelnd, daß D. diesen »Heros in der Musik« nicht genauer kennen gelernt und nun nicht imstande sei, ihm mehr von demselben zu erzählen; denn »wird man von einer solchen großen Persönlichkeit auch durch seine Eitelkeit und andere kleine Thorheiten entfernt, so muß man sich doch für sehr beglückt halten, mit einem solchen Mann in Einem Zeitalter geboren zu sein, und um wie viel begünstigter, mit ihm in Einer Stadt zu leben und einen solchen Geist in der Nähe wirken und schaffen zu sehen.«
Goethe holte das Heft mit den Steindrücken von den Externsteinen in Westfalen hervor, ließ sich alles auf's Genaueste beschreiben und fand namentlich das Bildwerk, die Kreuzesabnahme, von sehr großem Interesse; ihm sei etwas Ähnliches von alter Bildhauerarbeit in Deutschland nicht vorgekommen. »Ich werde [209] meine Ansichten darüber aussprechen und Ihnen das Heft senden.«
Goethe wünschte zur Reise nach Italien Glück und reiche Ausbeute, und als er von der Einladung des Papstes und dem eigenhändigen Schreiben desselben an Dorow hörte, veranlaßte er diesen auf das Dringendste, den Brief zu holen. D. that es, und es war merkwürdig, mit welch' eigenthümlicher Aufmerksamkeit Goethe das Schreiben besah, um- und wieder umkehrte, und es nicht genugsam betrachten konnte. Er ergoß sich in Lobeserhebungen nicht allein über den vortrefflichen Stil, sondern besonders über den liebevollen Inhalt in so würdigen Ausdrücken. Goethes stets ernste, unwandelbare Züge, seine Augen waren förmlich leuchtend geworden, und mit großer Zufriedenheit zeigte er noch an D. eine kleine Anticagliensammlung und bat, solche doch zu vermehren.
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