1823, zwischen Ende Mai und Anfang Juli.


Mit Joseph Stieler

Im Jahre 1828 erhielt Stieler von König Ludwig den ehrenvollen Auftrag, nach Weimar zu reisen, um den greisen Dichter nach dem Leben zu malen. »Wir müssen eilen,« sagte Goethe, bald nachdem Stieler bei ihm eingetreten war 1, »wir müssen eilen, das Gesicht zu bekommen. Der Großherzog ist weggegangen« (mit Bezug auf dessen Tod) »und nicht wiedergekommen; wer verbürgt einem, daß man morgen erwacht?« Goethe war mit dem Portrait äußerst zufrieden und bemerkte [379] nach dessen Vollendung unter anderm scherzhaft: »Ich danke dem König, daß er nicht den Scharfrichter geschickt hat, um meinen Kopf zu besitzen. Hier ist mein Kopf von Ihnen auf eine bequeme Weise abgenommen.«...

Goethe äußerte einmal zu Stieler in Weimar: »Die Maler sind die Götter der Erde, nichts ist der Dichter: ein Buch muß er schreiben, um vor das Publicum treten zu können; auf einer Tafel mit einem Blick vermag der Künstler sich auszusprechen, die höchste und allgemeinste Wirkung zu erreichen.« – weiter bemerkte er: »Die bildende Kunst muß durch die Sinne des Gesichts empfangen werden, sie ist folglich durch die technischen Vollkommenheiten bedingt und ohne Zeichnung und Colorit, Schatten und Licht gar nicht denkbar. Ich schätze wegen letzterem die Engländer (!) sehr. Ich halte diese Vorzüge höher, als einen glücklichen Gedanken, der, wenn er dem Auge nicht gehörig vorgestellt wird, nur der Poesie angehört.« Goethe hatte bei diesem Ausspruch die Cornelius'sche Kunstrichtung im Sinne, die er kurzweg die »altdeutsche« nannte und über die er sich gegen Stieler, der sich dieser Richtung auf's Wärmste annahm, gar nicht sehr günstig äußerte. Dürer, sagte er, würde ein ganz anderer Künstler geworden sein, wenn er in Italien gelebt hätte, und nun lege man sich dieselben Fesseln an, welche Dürer und seine deutschen Kunstgenossen gern würden abgeschüttelt haben, wenn es ihre Zeit[380] erlaubt hätte. Ja, Goethe ging wunderlich genug so weit, den geleckten Retzsch als Illustrator des ›Faust‹ über Cornelius zu stellen. Er möge den Cornelius'schen ›Faust‹ nicht leiden, versicherte er; er trete nicht auseinander, er sei ihm zu altdeutsch und Goethe fügte hinzu: »Dieses Gedicht hat man sooft darstellen gesucht, ich halte aber dafür, daß es wenig für die bildende Kunst geeignet ist, weil es zu poetisch ist. Retzsch hat mehr das wirklich Darzustellende ergriffen.«

Einen starken Anknüpfungspunkt mündlichen, wie später schriftlichen Verkehrs zwischen beiden Männern bildete Goethes Farbenlehre. Der Künstler (Stieler) – heißt es in dem Aufsatz [von Marggraff im ›Abendblatt der Münchener Zeitung‹] – hatte längst die praktische Anwendbarkeit der Goethe'schen Lehre erprobt, und es darf uns daher nicht wundernehmen, wenn Goethe in solchen und ähnlichen Erfahrungen die Unumstößlichkeit seines Systems bestätigt fand.


Note:

1 Selbstverständlich irrige Zeitbestimmung; der Großherzog starb erst während St.'s Anwesenheit

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