b.

Den zweiten Tag nach unserer Ankunft war Ball, und Goethe kam mir entgegen mit den Worten: »Nun, wie geht's Ihnen denn, lieber Herr Veit? Sie haben Sich hieher gemacht: sehr recht! Wo kommen Sie denn jetzt her?« u.s.w. Als ich ihm hierauf geantwortet hatte und ihm sagte, daß ich in Teplitz acht Tage gewesen und hingereist wäre, um Sie [Rahel L.] zu sprechen, »Ja, da haben Sie wohl recht gethan,« versetzte er, »wenn Sie sie in langer Zeit nicht gesehen hatten; freilich! Ja, es ist ein Mädchen von außerordentlichem Verstand, die immer denkt, und von Empfindungen – wo findet man das? Es ist etwas Seltenes. O! wir waren auch beständig zusammen, wir haben sehr freundschaftlich und vertraulich miteinander gelebt.« Zu Horn, der sich ihm von selbst präsentirte, hat er gesagt, Sie hätten stärkere Empfindungen, als er je beobachtet hätte, und dabei die Kraft, sie in jedem Augenblick [175] zu unterdrücken, und noch mehr. (Ich war nicht zugegen.) .....

Während des Tanzes saß er einmal allein. Ich ging zu ihm hin und habe über viel Sachen mit ihm gesprochen; mit mehr Wärme und zugleich mit mehr Achtung für mich habe ich ihn noch nicht mit mir sprechen hören. Ich fragte ihn nach seinen anatomischen Plänen und seinen Arbeiten überhaupt. Was er mir hierüber gesagt hat und was besonders neu war, läßt sich in kurzem darauf zurückführen: »Man sollte in der Naturgeschichte mehr raisonniren; denn das Raisonnement kann sehr viel helfen und nie schaden, da jeder Naturkörper, jede Pflanze, jeder Knochen mich widerlegt, wenn ich gefehlt habe, und in der Naturlehre mehr Versuche machen, da man nicht leicht eine Hypothese aufstellen kann, für die sich nicht Erscheinungen finden bei der Unendlichkeit der Natur und den unzuberechnenden Modificationen der Kräfte.« Aber nun die Hauptsache! Nachdem wir ein Langes und Breites darüber und über die vielen unzuverlässigen Bücher gesprochen hatten, sagte ich ihm, daß mir sein »Literarischer Sansculottismus« ein erstaunliches Vergnügen gemacht hätte, und er möchte es nicht für Unbescheidenheit nehmen, daß ich es ihm sagte. »Wenn man selbst jung ist, Herr Geheimerath, so muß es einen wohl freuen, wenn man sieht, daß ein Mann wie Sie sich der Jugend und der jetzigen Zeit so sehr annimmt.« »Warum für Unbescheidenheit? Mir ist das sehr lieb. Ja, warum [176] soll ich mich überreden lassen, daß wir zurückgehen, wenn wir offenbar vorwärts kommen? Und warum sollt' ich mich nicht um alles bekümmern? Das was heranwächst, was mir entgegensproßt, – anderer Leute Kinder oder meine, hier einerlei – das ist ja das Leben Nicht wahr, das ist das Leben?« So sprachen wir noch lange und gingen durch Zufall auseinander. Er hat mich seitdem oft angeredet, und wenn auch nur von albernem Zeug, Ortentfernungen, Reisen, doch immer einige Worte mit mir gesprochen.

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