1829, April.
Mit Wilhelm Schnitter
An einem Freitage im Monate April rückte ich bei schon beginnender Abenddämmerung in Weimar ein und schickte sogleich einen Lohnbedienten mit meiner zierlich geschriebenen Visitenkarte an Goethe ab und ließ um die Erlaubniß bitten, mich seiner Excellenz vorstellen zu dürfen. »Der Herr Minister läßt Sie bitten, morgen Vormittag um 11 Uhr zu ihm zu kommen« – lautete die Antwort.
Ganz erfüllt von Idealen und phantastischen Vorstellungen... ging ich dem, seit langen Jahren mit Ungeduld erwarteten Augenblicke, nicht ohne ein leises Zittern zu empfinden, entgegen.
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In straffer, fester Haltung, vollendet aufrecht stehend, in vornehmer fast gebietender Stellung stand er vor mir [386] da, der theure Dichtergreis, und über dem vollkräftigen Körper erhob sich das schöne Haupt mit der Fülle schneeweißer Haare, und die klaren klugen Augen sahen mich mit dem Ausdrucke des Wohlwollens und leiser Erwartung freundlich an. Ich hatte nicht daran gedacht, mir vorher einpaar Worte zurechtzulegen, mit denen ich Goethe beim Eintritt hätte begrüßen können, vielmehr hatte ich erwartet, zuerst von ihm angeredet zu werden; Goethe erwartete dagegen wieder seinerseits von mir das erste Wort der Begrüßung, wie dies ja auch eigentlich in jener Situation ganz natürlich war. Indem nun jeder von uns beiden auf die Anrede des andern wartete, entstand eine kurze, für mich etwas peinliche Pause; indessen faßte ich mich bald und brachte einige gesellschaftliche Redensarten, die allenfalls als eine einleitende Begrüßung gelten konnten, hervor. Goethe merkte meine Verlegenheit: er ließ mich nicht ausreden und lud mich freundlich ein, auf einem Sofa (welches ziemlich hart gepolstert war), platzzunehmen, worauf er sich zu mir setzte und eine ganz leichte zwanglose Unterhaltung begann.
Ich hatte auf der überschickten Visitenkarte meine damalige amtliche Stellung, ›Kammergerichts-Referendarius‹, angegeben; mit diesem Umstande mochte es zusammenhängen, wenn Goethe das Gespräch damit anfing, nach einigen juristischen Geschäften zu fragen und sich insbesondere Mittheilungen über die Einrichtung der Testamente von mir machen ließ .... Im weiteren [387] Verlaufe des Gesprächs kam Goethe auf die großen Verkehrsverhältnisse in Berlin zu sprechen und äußerte: wenn man die Berliner Zeitungen lese, müsse man über den großen Waarenumsatz erstaunen, der alltäglich in der Residenz stattfinde; er erinnerte dann an die bedeutende Anregung überhaupt, die man in einem großen Verkehrsleben empfange, und schloß dann mit den Worten: »Es ist ein Vortheil, einem großen Staate anzugehören.«
Nach einer kurzen Pause machte er, im Zimmer umherblickend, auf eine nahe stehende weibliche Büste aufmerksam, bezeichnete sie als die Büste der Sonntag und äußerte: »Rauch hat mir diese kleine Schönheit zum Geschenk gemacht.«
Im Sommer jenes Jahres 1829 fand bekanntlich die Vermählung bey Prinzen Wilhelm von Preußen... mit der Herzogin Auguste von Weimar statt, nachdem zwei Jahre zuvor die Vermählung des Prinzen Karl mit der älteren Herzogin erfolgt war. Mit Bezug auf die in Aussicht stehende Vermählung äußerte nun Goethe: »Nun wird sich auch unsere zweite Prinzessin in das Preußische Königshaus vermählen.« Er verbreitete sich nun über den hellen Verstand der verlobten Fürstin, ihre hohe Bildung, ihr reiches Wissen und beendigte seine Lobrede, indem er mit dem Ausdrucke herzlicher Befriedigung, insbesondere mit einem entsprechenden Kopfnicken sagte: »Ja, sie hat etwas gelernt; sie kann schon mitsprechen in der Welt.«
[388] Die Unterredung, nachdem sie gerade eine halbe Stunde gedauert hatte, ging nun zu Ende; ich stand auf, verneigte mich und ging.
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