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An Johann Friedrich Rochlitz

Wie doppelt lästig mir diese Tage her eine Abstumpfung alles Geistigen Mißbehagen aller körperlichen Thätigkeiten geworden, darf ich wohl nicht aussprechen. An und für sich wäre das schon schwer zu erdulden gewesen; da ich Sie aber, theuerster Herr und Freund, nur einige hundert Schritte von mir entfernt, von gleichem Übel befangen und uns in solcher Nähe eben so getrennt fühlte, als wenn Meilen zwischen uns lägen, so gab das einen bösen hypochondrischen Zug, wie ein mißlungenes Unternehmen, eine so nah und in der Erfüllung getäuschte Hoffnung nur störend in unsre Tage hineinschieben können. Sie empfinden eben dasselbe und auch, in [213] meinen Sinn sich versetzend, schärfer, weil in höheren Jahren man immer weniger geneigt wird auf die Genüsse des Augenblicks Verzicht zu thun.

Wenn ich nun auch eben in diesem Alter nach Besitz weniger habsüchtig bin als sonst, denn warum sollte man das zu erlangen suchen, was man zunächst verlassen soll, so lebt aber doch, in gewissen Fällen, die alte Begierde wieder auf; und es begegnet mir gerade jetzt, indem ich Ihr herrliches Portefeuille, welches für mich und mit Freunden, immer Ihre Gegenwart vermissend, auf das aufmerksamste durchgesehen, zurückzusenden im Begriffe bin.

Wie dem auch sey: ein gewisses Gefühl heißt mich den Wunsch des Kunstliebhabers von den Freundesworten zu trennen. Die Form eines Promemorias soll Ihnen völlige Freyheit lassen, meine vielleicht indiscreten Äußerungen nach ganz eignem Gefühl und Convenienz zu erwidern.

Aufs Frische verbunden und

verpflichtet
Weimar den 4. Juni 1831.
J. W. v. Goethe.

[Beilage.]
Zu geneigter Aufnahme.

Unter den trefflichen Kupferstichen, welche uns in dem höchst bedeutenden Portefeuille mitgetheilt worden, findet sich einer, dessen Besitz für mich von dem größten Werth wäre. Das Blatt stellt vor vier [214] Kirchen-Väter, die sich über eine wichtige Lehre des christlichen Kirchthums vereinigen, nach Rubens von Cornelius Galle. Von dieser höchst durchdachten und ausgearbeiteten Composition besitze ich die Original-Gouache von Rubens, genau in derselben Größe, und man kann sich von der Ausführlichkeit derselben durch das Kupfer den deutlichen Begriff machen. Ich würde sie beylegen, wenn sie nicht in den vielbepack ten Portefeuilles begraben läge.

Einem Kunstfreund und Kenner darf ich nicht sagen, wie zwey solche Blätter, neben einander gelegt, den Werth wechselseitig erhöhen, indem eins von dem andern Zeugniß gibt, was der Mahler beabsichtigt und geleistet, und wie der Kupferstecher bey'm Übertragen und Übersetzen einer so hohen Aufgabe sich würdig erwiesen; ja es läßt sich sagen: daß man beides erst neben und mit einander kennen lerne und eigentlich besitze.

Möge, wie irgend sonst eine Leidenschaft, die sich nicht entschuldigt, weil sie sich nicht helfen kann, auch dieser nicht zurückzuhaltende Wunsch freundlich betrachtet werden. Der Liebende verzeiht dem Liebenden wohl einen Fehltritt, der Kunstfreund dem Kunstfreunde eine vielleicht unbequeme Anmaßung, die man einem geprüften Angehörigen vorzulegen wagt, ohne ihm die Freyheit des Entschlusses nach Gefühl und Bezug im mindesten schmälern zu wollen.

vertrauensvoll
Weimar den 4. Juni 1831.
J. W. v. Goethe.
[215]

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