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An Sulpiz Boisserée
Weimar den 17. December 1811.
Aus Ihrem zweiten Briefe, mein lieber Boisserée, habe ich mit Vergnügen gesehn, daß das kleine Misverständniß, zu welchem mein letzter Brief Anlaß gegeben, sich von selbst gehoben hat, und so ist es denn auch recht und natürlich.
Was ich Ihnen wegen ihrer Herkunft schreiben wollte, wird nun durch Ihren letzten Brief noch besser [219] eingeleitet. Diese Frühjahr rathe ich Ihnen nicht zu kommen, weil mein Aufenthalt in demselben ungewiß ist, und ich wahrscheinlich wieder bey Zeiten nach Böhmen gehe. Komme ich aber dießmal, wie ich glaube im August schon wieder zurück, so wäre es sehr schön, wenn Sie die zweyte Hälfte dieses Monats, den September und vielleicht einen Theil des Octobers hier zubringen und uns ihre Kunstschätze zum besten geben wollen, und von uns nehmen, was wir anbieten können. Sie finden nicht allein mich und meine Familie wieder beysammen, sondern auch die Herrschaften sind wahrscheinlich wieder hier, sowie manche andre interessante Personen des Hofes und der Stadt. Auch das Theater kommt wieder heran, und so giebt es eine mannigfaltige Unterhaltung. Nicht weniger findet sich eher ein geräumig Quartier, weil die Fremden, die solche den Winter besetzen, erst später kommen. Und so möchte ich, daß Sie von allen Seiten einen angenehmen Aufenthalt hier fänden, ob Sie gleich so freundlich sind, die Unterhaltung mit mir als den Zweck Ihrer Reise zu betrachten.
Ihre herzliche Einladung in die schönen Rheingegenden werde ich auch dießmal schwerlich annehmen können.
Je mehr ich gegenwärtig im Geist bey meinen lieben Landsleuten wohne, desto weniger möchte ich es leiblich versuchen. Ich war überzeugt daß auch Sie mein biographisches Poëm wohl aufnehmen würden, und ich danke Ihnen, daß Sie mir es sagen.
[220] Die Nachrichten die Sie mir von unsern interessanten Frauen geben, sind hübsch und lustig genug. So ein kleiner Klatsch gefällt mir ganz wohl, wenn er so charakteristisch ist, wie derjenige den Sie zu mir gelangen lassen. Wenn Ihnen was ähnliches vorkommt, so wünsche ich, daß Sie es mir nicht vorenthalten.
Beyliegendes Blatt enthält das Verzeichniß der Handschriften die ich besitze. Ich habe sie in diesen langen Winterabenden revidirt und geordnet. Kommt Ihnen etwas von bedeutenden Lebenden, kurz oder längst Verstorbenen in die Hände, so erfreuen Sie mich mit Beyträgen. Ich mag die Geister der Entfernten und Abgeschiedenen gern auf jede Weise hervorrufen und um mich versammeln. Leben Sie recht wohl und lassen gelegentlich wieder von sich hören.
G.