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An Carl Friedrich Zelter

[31. December 1825.]

Du hast mir seit einiger Zeit, mein Theuerster, gar lebhafte Charakterzüge Eurer Berliner Tagesweise mitgetheilt, daß ich doch endlich auch etwas von mir hören zu lassen schuldig zu seyn glaube. Mir war es indessen wunderlich zu Muthe! Eine nothgedrungene[216] Wirkung, sowohl gegen die Nähe als in die Ferne, hinderte mich meinem Willen zu folgen, welchem nach ich dich schon längst einmal wieder besucht hätte. Ihr Berliner jedoch seyd mir die wunderlichsten Leute, Ihr schmaust und trinkt und verzürnt Euch unter einander, so daß Mord und Todschlag im Augenblick und tödlicher Haß in der Lebensfolge daraus entspringen müßte, wäre es nicht in Eurer Art, das Widerwärtige auch stehen zu lassen, weil denn doch am Ende alles neben einander verharren kann, was sich nicht auf der Stelle aufspeist.

Dein sibyllinisches Blatt über Macbeth glaube nach meiner Weise recht gut auszulegen ich dachte wenigstens dabey wie folgt:

Diese Bemühungen gehören zu denjenigen, welche König Saul der Hexe von Endor zumuthete: die großen Todten hervorzurufen, wenn wir uns selbst nicht zu helfen wissen. Shakespear ist noch widerborstiger als jener abgeschiedene Prophet, und wenn so sie ihn gar in seiner Integrität hervorzaubern wollen, dann geht es am wenigsten. Ein solches Mickmack von Uraltem und Modernstem bleibt immer auffallend wie du es ganz richtig empfunden hast.

Was hilft alles Costumiren! Genau besehen sind denn doch am Ende Schauspieler und Kleider, Decorationen und Gespenster, Musiker und Zuschauer unter einander nicht in Harmonie. Dieß hat dich bey einer so bedeutenden Exhibition zerissen. Vielen ist es [217] auch zuwider, ohne daß sie es gestehen; viele lassen es gut seyn, weil es nicht anders ist; sie haben bezahlt und ihre Zeit hingesessen.

Sieben Mädchen in Uniform machen auch hier das Publicum glücklich; denn so etwas ist zeitgemäß. Das Soldatenspiele zu einer halblüsternen Posse verwandt, läßt sich Jedermann gefallen, wenn unter dem Druck eines Shakespearischen Alps das Publicum seufzt und sich sehnt aus einem schweren Traum des Ernstes in die freye Luft der Thorheit.

Jetzt, da ich nicht mehr in's Theater gehe, sonst nichts damit verkehre, nur aber meine Kinder und sonstiges nachwachsendes Lebevolk zu beobachten habe, gehen mir ganz eigne Lichter auf. Immer nehmen sie Partei; bald seh ich sie in gerechten Urtheilen klar und verständig, bald in Vorurtheilen und Vorlieben ungerecht befangen und was alles daraus folgt, wie es uns längst bekannt ist; aber ich begreife doch erst das Mißbehagen der Danaidenarbeit während so vieler Jahre, in welchem ich bemüht war die wirklich groben, der Bühne verliehenen Vorzüge in Wirklichkeit zu setzen und zur Evidenz zu bringen. – In solche Betrachtungen haben mich deine Hexen verhext; trage deshalb die Schuld eigner Veranlassung.

Als belebte Folge jener festlichen Tage ist mir, wie ich bekennen muß, manches Gute geworden; auch manches Gute zu thun gibt es Gelegenheit, da der aufgeregte und doch nicht flackernde Enthusiasmus [218] einen Jeden aus sich selbst in's Allgemeine trieb. Hiebey gelingt es denn auch, ein viele Jahre gewünschtes Gärtnerhaus an die Stelle des alten zu setzen, worin du dich auch einmal beholfen hast. Dieß ging ganz einfach, die Gewerken gaben ihren Vortheil auf und ließen mit frohem Sinn die Anstalt genießen was sie sonst für sich und die Ihrigen erworben hätten. Du weißt am besten, wie hoch dieß anzuschlagen ist.

Und da nun von manchen klugen und thätigen Menschen dieser allgemeine gute Wille gestärkt und geleitet worden, so ist in dem kleinen Kreis sehr viel geschehen, weil alle Glieder groß und klein, sich lebendig erwiesen. Und hieraus erwächst denn auch mir noch manche angenehme Beschäftigung, um das Begonnene und Eingeleitete durch- und ans Ziel zu führen.

Zu Ausfüllung des Raumes Folgendes:

Eine große sorgfältige Zeichnung von Iulius Roman, mit vielen Figuren, zum größten Theil wohl erhalten, ist eine köstliche Acquisition; ohne Zweifel das Original, das Diana von Mantua in Kupfer gestochen hat: Christus vor der schönen Thüre des Tempels, nach Raphaels Vorgang, mit gewundenen Säulen geschmückt. Er beruhigt warnend die neben ihm aufrecht stehende beschämte Ehebrecherin, indem er zugleich die pharisäischen Susannenbrüder durch ein treffendes Wort in die Flucht schlägt. Sie entfliehen so kunstgemäß-tumultuarisch, so symmetrischverworren, [219] daß es eine Lust ist. Sie stolpern über die Bettler, denen sonst ihre Heucheley zu Gute kam und die für dießmal unbeschenkt auf den Stufen liegen. Der Federumriß ist von der größten Nettigkeit und Leichtigkeit und fügt sich dem vollkommensten Ausdruck. Das Kupfer findet sich gewiß in Berlin und ist nachzuweisen: Bartsch peintre graveur Vol. XV. S. 434, Oeuvre de Diane Ghisi Nr. 4, wo es für eine der schönsten und wichtigsten Arbeiten genannter Künstlerin gehalten wird.

unwandelbar

Weimar den 30. December 1825.

Goethe.


So eben kommt dein Euryanthischer Brief, worauf nächstens fernere Erwiderung. – Zugleich empfehle: Berlinische Nachrichten, bey Haude und Spener Nr. 304.

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