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An Dorothea von Chassepot,geb. von Knabenau

[Concept.]

[Weimar 13. Januar 1829.]

Erst mir den neuen Abenden des Jahres 1829 gewinn ich einigen Raum, meiner unvergeßlichen liebenswürdigen Freundin wenn auch nur wenige Worte zu sagen und zu versichern, daß ich seit dem Empfang Ihres liebwerthen Briefes, im stillen Zusammenhange, immer an Sie gedacht habe. Gewiß nehm ich den aufrichtigsten Antheil an Ihrem Glück, wie Sie es schildern. Denn eben in meinen hohen Jahren gereicht es mir zur Erquickung, die Guten und Werthen, die [122] mir im Laufe des Lebens begegneten, in erwünschtem Zustand zu wissen, welcher der Anlage nach dauernd und, menschlicher Weise, sicher scheint.

Sie haben mir in dem Augenblick eines großen Verlustes, der eine kaum erträgliche Entbehrung und fortdauernde Schmerzen zur Folge hat, ein freundliches theilnehmendes Wort zugesprochen, weshalb Ihnen denn mein später Dank gleichfalls angenehm seyn möge! Sodann lassen Sie mich vertraulich gestehen, daß das Glück, mit so hohen Personen im Leben nah verbunden zu seyn, mir sodann auch wieder zu größerm Unheil gereicht, indem, was mich sonst als Volks- und Welt-Geschick nur vorübergehend berühren, auf meine nächsten Zustände jedoch kaum einen Einfluß haben würde, mich nunmehr, als einen in solche Verhältnisse Verflochtenen, zu unmittelbarer Theilnahme fordert und verhältnißmäßig unglücklich macht. Sie, meine Beste, werden dieß am ersten mitempfinden, da Sie solche Zustände gleichfalls getheilt und daran nicht wenig gelitten haben. Der Tod der Kaiserin Mutter mit seinen Folgen liegt nun auch schwer auf mir, mit empfindend, was unsre Frau Großfürstin schmerzlich entbehrt.

Nach diesen traurigsten Betrachtungen wird es bis zum Komischen heiter, wenn ich mich zu dem ferneren Inhalt Ihres Briefes wende. Können Sie Ihrem reisenden Freunde eine Mystification verzeihen, wie er sich erlaubt hat, so muß ich mir es ja wohl auch gefallen lassen. Ob der gute Mann in Weimar gewesen, [123] ist mir nicht bekannt geworden; bey mir war er nicht, wie sogar seine nicht glücklich erfundene Relation bey'm ersten Anblick argwohnen läßt. Denn vorerst habe ich lange genug in der Welt gelebt, um zu lernen, daß man sich vor einem Weltfremden nicht triste und abbatu zeigen müsse. Was die Worte sind, die mir der unselige Dramatiker in den Mund legt, so werden sie von solcher Art gefunden, daß Menschenkenntniß und Geschmack meiner lieben Freundin nothwendig daran alsobald zweifeln mußte. Genug der Ehrenmann hat sich durch diesen Scherz an Ihnen und an mir versündigt, er sey nur ganz Ihrer Gnade und Ungnade überlassen.

Es gehört wirklich viel Gutmüthigkeit dazu, nach so vielen Jahren noch Fremde zu sehen, nachdem man sich immer gewärtigen muß, beobachtet, bespionirt, ausgeforscht und zuletzt doch mißverstanden zu werden. Dieses Unheil alles abgezogen bleibt denn doch noch mancher Gewinn übrig, und ich kann nicht über mich gewinnen, wenn ich mich irgend in einem präsentablen Zustand befinde, Angemeldete von nah oder fern abzuweisen. Man müßte ja, wenn man reiste, auch mit so mancherlei Unbekannten verhandeln, warum sollt ich mir die Mühe nicht auf meinem Zimmer geben? Besonders in der Herbstreisezeit ist es höchst unterhaltend, Physiognomien, Darstellung, Rede, Betragen der allerverschiedensten Art in wenigen Stunden bey sich vorüber gehen zu sehen.

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