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An Berthold Georg Niebuhr

Wenn ich manchmal durch Verspätung meiner Antwort mich an Freunden und Wohlwollenden versündige, so will ich dießmal lieber etwas voreilig seyn und ehe [214] ich noch Ihr Werk erhalten habe, Ew. Wohlgebornen für die Freude danken, die sie mir durch Ihre Zuschrift gemacht haben. Sie führen einen Namen den ich von Jugend auf verehren lernte, und von Ihnen selbst haben wir manche Freunde soviel Liebes Gutes und Vorzügliches erzählt daß ich sie schon näher zu kennen glaube und aufrichtig versichern kann, daß ich recht seht wünschte Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen.

Indessen soll das Werk das Sie mir ankündigen mir eine sehr angenehme und belehrende Unterhaltung seyn: denn was kann uns reizender dünken als eine so oft und viel durchgearbeitete Materie abermals aus neuen Gesichtspuncten dargestellt zu sehen, und durch neue Untersuchungen gleichsam wiedergeboren zu finden. Je weniger es mir in meinem Leben vergönnt gewesen, Gegenstände die mich so sehr interessiren, selbst zu bearbeiten, desto mehr weiß ich diejenigen zu schätzen welche dergleichen zu unternehmen das Talent und die Beharrlichkeit haben.

Ich wünsche, daß sie diesen vorläufigen Dank freundlich aufnehmen und mir ein geneigtes Andenken erhalten.

Jena den 27. November 1811.

Goethe.


Vorstehendes nahm ich mit von Jena nach Weimar, wo ich Ihr vortreffliches Werk vorfand und gleich zu[215] lesen anfing. Nun bin ich am Ende desselben und möchte, ehe ich wieder von vorn anfange (welches höchst nöthig ist, um es zu verstehen und zu benutzen) nicht blos einen allgemeinen und gefühlten, auch einen besondern und motivirten Dank abstatten. Bis mir aber dieses gelänge, möchte wohl eine gute Zeit vorbeystreichen, und bey hundert Anlässen, auf die Nothwendigkeit solcher Untersuchungen hingewiesen wurde, allein bey jedem Schritte sowohl meine eigene als Anderer Unzulänglichkeit gar bald gewahr wurde. Da ich nun seit jener langen Zeit her meine Aufmerksamkeit auf diese Gegenstände wenden fortgefahren, so kommt Ihr Werk mir höchst erwünscht, das so viele Räthsel auf einmal lös't.

Der vor-römische Zustand Italiens wird uns nun anschaulich, und die mehreren gleichsam übereinander geschobenen Schichten von Völkern ihrer Folge nach deutlich. Die Sonderung von Dichtung und Geschichte ist unschätzbar, indem keine von beyden dadurch zerstört, ja vielmehr jede erst recht in ihrem Werth und Würde bestätigt wird; sowie es unendlich interessant ist zu sehen, wie sie beyde wieder zusammenfließen und wechselseitig auf einander wirken. Möchten doch alle ähnlichen Erscheinungen der Weltbegebenheiten auf diese Weise behandelt werden.

[216] Bedarf es wohl vieler Worte, um zu versichern, daß mir die Entwicklung der Staats- und Finanzverhältnisse, des Verhältnisses zu Griechenland, die misliche Lage Roms nach Vertreibung der Könige, genug Alles und Jedes höchst belehrend geworden ist. Wollte ich ins Besondere gehen, und die Darstellung des Ankus Martius, die Enthüllung der Sibyllinischen Bücher erwähnen, von den Poemen Lukretia und Coriolan auch besonders sprechen, so würde ich ein Buch über das Buch zu schreiben haben, und diese Blätter niemals auf die Post gelangen. Seyn Sie überzeugt, daß Sie mir ein großes Geschenk gemacht haben, wofür ich Zeitlebens dankbar, die Fortsetzung sehnlichst erwarte und um mich derselben würdig zu machen, den ersten Band aufs fleißigste studire und mir zueigne.

Mögen Sie beyliegendem Blättchen einige Aufmerksamkeit gönnen und besonders mir von der Hand Ihres verehrten Herrn Vaters etwas zukommen lassen! Mich nochmals bestens Ihrem geneigten Andenken und Ihrer freundlichen Theilnahme empfehlend

Weimar den 17. December 1811.

Goethe.

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