6/1791.
An Charlotte von Stein
Langenstein d. 9. Sept. 83.
Erst heute Abend schreib ich meiner Lotte mit der ich mich diese ganze Zeit im Stillen beschäfftigt habe. Ich wünschte du wärest den ganzen Tag um mich unsichtbar, und trätest Abends wenn ich alleine bin wie aus der Mauer hervor, du würdest fühlen, was ich ietzt mit so vieler Freude fühle, daß ich nur alleine dein bin und dein seyn kann. Wie hoffe ich auf den Augenblick dich wiederzusehen, du hast mich mit allen Banden an dich gebunden.
Mir geht es bis hierher sehr wohl, man begegnet mir auf das Beste und Fritz ist recht artig und fasst sich bald wenn ihm etwas gegen die Stirne läufft.
Ich habe dir viel zu erzählen, es wird mir gut thun fremde Luft einzuathmen und mein Verhältniß von weitem zu betrachten. Die Existenzen fremder Menschen sind die besten Spiegel worinn wir die unsrige erkennen können.
Das Wetter ist nicht sehr günstig der Harz schickt Stürme und Wolcken, indessen hat es nicht geregnet und das ist schon danckenswerth.
Die Herzoginn, wie ich höre kommt erst Montags d. 15ten hierher, oder vielmer nach Halberstadt. Ich weis nicht ob ich sie sehen werde.
Ich freue mich herzlich auf deinen Brief in Cellerfeld.
[195] Lebe wohl und behalte mich in deinem Herzen und empfange mich wieder wie du mich verabschiedet hast. Es ist in der weiten Welt allerley vergnügliches und wenig trost zu holen, den ich allein in deiner Nähe finde. Lebe wohl Geliebteste.
G.