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An Carl Friedrich Zelter

Eine wohlgegliederte weibliche Gestalt liegt, nackt, den Rücken uns zukehrend, uns über die rechte Schulter anschauend, auf einem wohlgepolsterten anständigen Ruhebette; ihr rechter Arm ist aufgehoben, der Zeigefinger deutet, man weiß nicht recht worauf. Rechts vom Zuschauer, in der Höhe, zieht aus der Ecke eine [1] Wolke heran, welche auf ihrem Wege Goldstücke spendet, deren einen Theil die alte Wärterin andächtig in einem Becken auffängt. Hinter dem Lager, zu den Füßen der Schönen tritt ein Genius heran, er hat auch ein paar begeistete Goldstücke aufgefangen und scheint sie dem Örtchen näher bringen zu wollen, wohin sie sich eigentlich sehen. Nun bemerkt man erst wohin die Schöne deutet. Ein in Karyatidenform, den Bettvorhang fragend, zwar anständig drapirt doch genugsam kenntlicher Priap ist es auf welchen sie hinweis't, um uns anzuzeigen wovon eigentlich die Rede sey. Eine Rose hat sie im Haar stecken, ein paar andere liegen schon unten auf dem Fußbänkchen und neben dem Nachtgeschirr, das, wie auch der sichtbare Theil des Bettgestelles, von goldnen Zierrathen glänzt.

Das muß man beysammen seyn, mit welchem Geschmack und Geschick der geübteste Pinsel, allen Forderungen der Mahler- und Farbenkunst genugthuend, dieses Bildchen ausgefertigt hat. Man stellt es gern kurz nach Paul Veronese; es mag's ein Venetianer oder auch ein Niederländer gemahlt haben. Behalte das für dich; denn unsern Meistern, welche sich mit traurenden Königspaaren beschäftigen, ist dergleichen, ein Ärgerniß und den Schülern, die sich in heiligen Familien wohlgefallen, gewiß eine Thorheit. Glücklicher Weise ist das Bildchen gut erhalten und beweis't überall einen markigen Pinsel.

[2] Bey dir, mein Bester, bedarf es wohl keiner Versicherung, daß der Gegenstand auf mich nicht die geringste Einwirkung hat. Ich bewundere nur wie der echte Künstler die wahre Katharsis geübt hat, von der eure Buchstaben-Menschen nichts wissen wollen, die, weil sie nur den Effect fühlen, von Production nichts begreifen und sich einbilden, der Künstler habe Zwecke, ihnen zu Ehren und zu Liebe. Dieser hier hat mit heiterem, ausgebildetem, allerliebstem Kunstsinn sein Täfelchen abgerundet und abgeschlossen, und bekümmert sich nun den Teufel wie sich der Anschauer dazu verhält. Der nehme es nun nach Belieben, als unreiner Wollüstling, als gefälliger Liebhaber, als durchbringenden Kenner, uns alle lacht er aus wie mir uns gebärden. Er hat's hervorgebracht, weiß selbst nicht recht wie, aber mit dem Bewußtseyn daß er es recht gemacht habe. Das ist's was man Natur und Naturell heißt. Die guten Menschen, wenn sie der Sache näher kommen wollten, müßten Kants Kritik der Urtheilskraft studiren.

Doch vermuth ich, die neuste Philosophie weiß das alles besser, aber freylich nur in sich selbst; unzugänglich dem Leben und dem mitgebornen Menschenverstande.

Dieß alles kaum fortschicken, wenn ich dir nichts zugleich sagen könnte daß es mir in jedem Sinne wohlgeht, dergestalt, daß ich mir ein vor meinem nächsten Geburtstag [3] zu erreichendes Ziel vorgesteckt habe, das ich nicht voreilig berufen will. Ist es gelungen, so sollst du erste seyn dem es notificirt wird.

Hiemit also sey für dießmal geschlossen, mit dem besten Dank für deine vielfachen Mittheilungen, auch in den letzten Briefen, bey deren ersten Lesung mir gar manches in die Gedanken kommt, welches ich gern auf dem Papier wünschte, wohin es aber nicht leicht gelangt, aus oben gemeldeten Ursachen; daher auch theilweise sey es dir willkommen.

Unter allen Umständen und Zufälligkeiten

treulich eingedenck

Weimar den 8. Juli 1831.

J. W. v. Goethe.

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