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An Carl Friedrich Zelter

So oft bin ich Ihnen in Gedanken gefolgt daß ich leider versäumt habe es schriftlich zu thun; heute nur weniges zur Begleitung beyliegenden Blättchens. Ich werde diese Betrachtung fortsetzen und nur, so kurz als möglich, die Hauptpuncte berühren, die Ausführung werden Sie ihm schon selbst geben.

Von Mozarts Biographie habe ich noch nichts weiter gehört, ich werde mich aber darnach, so wie nach ihrem Verfasser erkundigen.

Ihre schöne Königin hat auf der Reise viel Glückliche gemacht, niemand glücklicher als meine Mutter, ihr konnte in den letzten Lebensjahren nichts erfreulicheres begegnen.

[262] Schreiben Sie mir ja von Zeit zu Zeit und schicken mir doch etwa alle Monate die Comödienzettel. Schreiben Sie mir doch auch etwas von der Aufführung der natürlichen Tochter, nur gerade zu und ohne Rückhalt. Ich habe ohnehin Lust einige Scenen zu verkürzen, welche lang scheinen müssen, selbst wenn sie vortrefflich gespielt werden.

Mögen Sie mir einmal die Pflichten eines Conzertmeisters skizziren? so viel als allenfalls für unser einen zu wissen nöthig ist, um einen solchen Mann einigermaßen zu beurtheilen und allenfalls zu leiten.

Madame Mara hat Dienstag in Lauchstädt gesungen, wie es abgelaufen ist weiß ich noch nicht.

Für die Lieder, die ich durch Herrn von Wolzogen erhalten habe, danke ich zum schönsten, in meinem Nahmen und im Nahmen der Freunde.

An Production war die Zeit nicht zu denken. Nächstens hoffe ich Ihnen die Aushängebogen meiner Lieder zu schicken, mit Bitte sie die erste Zeit geheim zu halten, bis sie im Buchhandel erscheinen. Leben Sie recht wohl und gedenken mein.

Weimar am 28. Jul. 1803.


[Beilage.]

Sie haben nunmehr die Braut von Messina gedruckt vor sich und wissen genauer zu schätzen was der Dichter geleistet hat, so wie Sie aus seiner Vorrede erfahren, wie er über die Sache denkt und in [263] wie fern Sie mit ihm übereinstimmen. Ich will, bezüglich auf Ihren Brief, meine Gedanken über diesen Gegenstand hinwerfen, wir werden ja einander durch wenig Worte verständlich.

In der griechischen Tragödie zeigt sich der Chor in vier Epochen.

In der ersten treten zwischen dem Gesang, in welchem Götter und Helden erhoben, Genealogien, große Theater, ungeheure Schicksale vor die Phantasie gebracht werden, wenige Personen auf und rufen das Vergangene in die Gegenwart. Hievon findet sich ein annäherndes Beyspiel in den Sieben vor Theben, von Aeschylus. Dieses wären also die Anfänge der dramatischen Kunst, der alte Styl.

Die zweyte Epoche zeigt uns die Masse des Chors als mystische Hauptperson des Stücks; wie in den Eumeniden und Bittenden. Hier bin ich geneigt den hohen Styl zu finden. Der Chor ist selbstständig, auf ihm ruht das Interesse, es ist, möchte man sagen, die republikanische Zeit der dramatischen Kunst, die Herrscher und Götter sind nur begleitende Personen.

In der dritten Epoche wird der Chor begleitend, das Interesse wirft sich auf die Familien, und ihre jedesmaligen Glieder und Häupter, mit deren Schicksalen das Schicksal des umgebenden Volks nur lose verbunden ist. Der Chor ist untergeordnet, und die Figuren der Fürsten und Helden treten, in ihrer abgeschloßnen Herrlichkeit, hervor. Hier möchte ich den[264] schönen Styl finden. Die Stücke des Sophokles stehen auf dieser Stufe. Indem die Menge dem Helden und dem Schicksal nur zusehen muß und, weder gegen die besondere noch allgemeine Natur etwas wirken kann, wirft sie sich auf die Reflexion und übernimmt das Amt eines berufenen und willkommenen Zuschauers. In der vierten Epoche zieht sich die Handlung, immer mehr ins Privatinteresse zurück, der Chor erscheint oft als ein lästiges Herkommen, als ein aufgeerbtes Inventarienstück. Er wird unnöthig und also, in einem lebendigen poetischen Ganzen, gleich unnütz, lästig und zerstörend, z.B. wenn er Geheimnisse bewahren soll, an denen er kein Interesse hat und dergl. Mehrere Beyspiele finden sich in den Stücken des Euripides, wovon ich Helena und Iphigenie auf Tauris nenne.

Sie sehen hieraus daß man, um sich musikalisch wieder anzuschließen, Versuche aus den zwey ersten Epochen machen müßte, welches durch ganz kurze Oratorien geschehen könnte.

Weimar am 28. Jul. 1803.

G. [265]

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