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An Carl Friedrich Zelter
Georg Friedrich Schmidt,
geboren Berlin 1712, abgegangen daselbst 1775

Der Künstler, dessen Talent wir zu schätzen unternehmen, ist einer der größten dessen sich die Kupferstechenkunst zu rühmen hat; er wußte die genauste Reinheit und zugleich die Festigkeit des Grabstichels mit einer Bewegung, einer Behandlung zu verbinden, welche sowohl kühn als abwechselnd und manchmal mit Willen unzusammenhängend war, immer aber vom höchsten Geschmack und Wissen.

Von dem regelmäßigen Schnitt, worin er den ernstesten Chalkographen nacheiferte, ging er nach [68] Beliebten zur freyen Behandlung über, indem er sich jenes spielenden Punctirens der geistreichsten Radirkünstler bediente und das Urtheil ungewiß ließ: ob er sich in einer oder der andern Art vorzüglicher bewiesen habe. Doch es ist kein Wunder daß er sich in diesen einander so entgegengesetzten Arten des Stiches vollkommen gleich erwiesen habe, weil ihm die gefühlteste Kenntniß der Zeichnung und des Helldunkels, die feinste Beurtheilung und ein unbegränzter Geist beständig zum Führer dienten.

In der ersten Art zog er vor, Porträte zu behandeln, ob er gleich auch einige geschichtliche Gegenstände gestochen hat und alles was er gestochen vorzüglich ist. Aber jenes Porträt von Latour, welches dieser Mahler von sich selbst gefertigt hatte, ist bewundernswürdig durch die Vorzüge welche in allen übrigen sich finden; mehr aber durch die Seele und die freye Heiterkeit, die in diesem Gesicht so glücklich ausgedruckt sind. Sehr schön ist auch das Bildniß von Mounsey und außerordentlich die der Grafen Rasumowsky und Esterhazy, und die Kaiserin von ußland Elisabeth, gemahlt von Tocqué, wo besonders die Beywerke mit erstaunender Meisterschaft behandelt sind.

Nicht weniger schätzenswerth ist das Porträt von Mignard nach Rigaud; welches ich doch nicht, wie andere wollen, für sein Hauptstück halte.

In der zweyten Art behandelt er eben so gut Porträte als historische Vorstellungen, worunter einige [69] von einiger Erfindungen sind, die ihm zu großem Lobe gereichen.

Er ahmte, doch nicht knechtisch, die weise mahlerische Unordnung Rembrandts und Castiglione's nach und wußte sich sehr oft mit der kalten Nadel der geistreichen und bezaubernden Leichtigkeit des Stefano della Bella anzunähern. Bey ihm ist alles Wissen, alles Feuer und, was viel mehr bedeutend will, alles der Wahrheit Stempel.

Man kann von diesem wundersamen Manne sagen: daß zwey der trefflichsten Stecher in ihm verbunden seyen. Wie er auch irgend die Kunstart eines anderen nachahmt, tritt er immer von seinem außerordentlichen Geiste begleitet als Original wieder hervor.

Hätte er die Geschichte im Großen Sinne wie das Porträt behandelt und hätte ihn die Überfülle seines Geistes nicht manchmal irre geleitet, so konnte er die oberste Stelle in unsrer Kunst erreichen. Ist ihm dieß nicht gelungen, so bleibt er doch, wie gesagt, einer der trefflichsten Meister und der erfahrenste Stecher.

Wer seine schönen Kupferstiche zu Rathe zieht wird von vielen Seiten in seiner Profession gewinnen.

Siehe La Calcografia da Giuseppe Longhi. Milano 1830. Vol. I. pag. 185.

Weimar d. 10. Sept. 1831

J. W. v. Goethe. [70]

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