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An Friedrich Immanuel Niethammer

Wohlgeborner
Insonders hochgeehrtester Herr,

Ich verfehle nicht, Ew. Wohlgebornen sogleich Anzeige zu thun daß der Brief an Herrn Geheimrath Wolf gestern bey mir angelangt und sogleich weiter befördert worden. Sollte er indessen eintreffen, so werde ich das mir aufgetragene wörtlich ausrichten. Zugleich muß ich freylich bitten, daß Sie mir mein bisheriges Stillschweigen verzeihen: denn der Brief, in dem Sie mich an eine mir selbst so sehr am Herzen liegende Angelegenheit erinnern, ist zur rechten Zeit angekommen und ich habe bisher gezaudert darauf zu antworten.

Denn welch eine Litaney von Klagen über innere[311] und äußere Hindernisse müßten Sie hören, wenn ich auseinandersetzen sollte was mir eigentlich im Wege gestanden, daß ich in dieser Sache noch nichts bestimmtes zu äußern fähig bin! Doch man dar das Geschäft nur in seinem eigenen Umfang und innerlichen Schwierigkeiten betrachten; so findet man schon Stoff genug zu mancherley Bedenklichkeiten. Die Übersicht der deutschen Poesie, deren früheste Anfänge jetzt wieder aufgeregt und ans Licht gebracht werden, durch ihre mittlern Zustände bis auf die neuesten, ist schwer zu fassen und je deutlicher man darüber wird, je unmöglicher scheint es aus so widersprechenden Elementen einen Codex zusammenzubringen, dessen Theile nur einigermaßen neben einander bestehen könnten.

Indessen ist die Sache oft genug, ja ich kann wohl sagen von mir und theilnehmenden Freunden bedacht und überlegt worden; ja ein Anfang ist sogar gemacht manches auszuschreiben und zu rangiren. Was aber für eine curta supellex dabey zur Evidenz kommt, wollen wir lieber verschweigen, wenn man zuletzt sähe, daß man die Arbeit aufgeben müßte. Lassen Sie uns noch einige Zeit im stillen fortarbeiten und bleiben Sie in diesen und andern Fällen unsrer Theilnahme gewiß.

Ew. Wohlgeboren

Weimar den 7. April 1809.

gehorsamster DienerGoethe. [312]

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