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An Carl Friedrich Zelter
Wegen Walter Scotts Napoleon habe ich soviel zu sagen: Wenn du Zeit und Lust hast, den bedeutenden Gang der Weltgeschichte, in dem wir seit fünfzig Jahren mit fortgerissen werden, bey dir im Stillen zu wiederholen und darüber noch einmal nachzudenken: so kann ich dir nichts Bessers rathen, als gedachtes Werk von Anfang bis zu Ende ruhig durchzulesen. Ein verständiger, wackrer, bürgerlicher Mann, dessen Jünglingszeit in die französische Revolution fiel, der als Engländer in seinen besten Jahren diese wichtige Angelegenheit beobachtete, betrachtete und sie gewiß vielfach durchsprach, dieser ist noch überdieß der beste Erzähler seiner Zeit und gibt sich die Mühe, uns die ganze Reihe des Verfolgs nach seiner Weise klar und deutlich vorzutragen.
Wie er aus seinem politisch-nationalen Standpunct sich gegen das alles verhält, wie er, übern [194] Canal herüberschauend, dieses und jenes anders ansieht als wir auf unserem beschränkten Platz im Continent, das ist mir eine neue Erfahrung, eine neue Welt-Ein- und -Ansicht.
Durchaus bemerklich ist aber, daß er als ein rechtlicher bürgerlicher Mann spricht, der sich bemüht, in frommem gewissenhaften Sinne die Thaten zu beurtheilen, und sich streng vor aller Machiavellischen Ansicht hütet, ohne die man sich freylich kaum mit der Weltgeschichte abgeben möchte.
In diesen Bezügen bin ich, bis jetzt sehr mit ihm zufrieden, bis zum vierten Bande gelangt und werde ruhig so fortlesen und ihn als Referenten betrachten, der das Recht hat, feinen Actenauszug, seine Darstellung und sein Votum vorzulegen, um sodann die Abstimmung der versammelten Richter zu erwarten.
Erst also, wenn ich mit dem Werke durch bin, welches freylich mit seinen neun Theilen gerade zur rechten Zeit kommt, um die traurigen langen Abende zu erhellen und zu verkürzen, werde ich mit gleichem Antheil beachten was man gegen ihn vorbringt. Dieß kann nicht anders als höchst interessant seyn. Man wird sehen, ob er Facta anzuführen versäumt, ob er sie entstellt, ob er sie parteiisch ansieht, einseitig beurtheilt oder ob man ihm Recht lassen muß. Voraus aber sage ich mir: Man wird dabey die Menschen näher kennen lernen als den Gegenstand, und im Ganzen wird man es doch endlich bewenden lassen; [195] denn wenn man sich bey einer Geschichte nicht beruhigt wie bey einer Legende, so lös't sich zuletzt alles in Zweifel auf.
Euer verrückter Ehstandsflüchtling hält sich in Jena auf, er war in diesen Tagen hier, doch ohne sich bey mir sehen zu lassen. So närrisch die Seuche ist, die eure Berliner verlobten Männer ergreift, so ist mir das Symptom im Leben doch schon vorgekommen, weil unter der Sonne nichts Neues geschieht. Ein Bekannter von mir saß bey seiner Braut im Wagen und fuhr nach der Kirche; da ergriff ihn eine solche Altar- und Bettscheue, daß er eine Ohnmacht vorspiegelte und umkehren ließ, wie denn auch der Handel rückgängig wurde.
Nach meiner Einsicht tritt in solchen Fällen eine Überzeugung eigener Ohnmacht wie ein Gespenst so fürchterlich vor dem Betheiligten auf, daß eine Art Wahnsinn entspringt, welcher das Bewußtseyn aller übrigen Verhältnisse verschlingt, ja sogar, wie bey dem ersten Berliner Fall, das Verbrechen einleitet. Gegenwärtiger zweyter wüthet wenigstens auch zugleich gegen sich selbst; wir wollen Acht geben, ob sich nicht nächstens abermals etwas Ähnliches hervorthut.
Denke meiner oben ausgesprochenen Hypothese nach! Um sich gewisse geheim-verwickelte Dinge zu erklären, muß man es an allerley Versuchen nicht fehlen lassen.
[196] Deine Correspondentin aus Sanssouci mag ein liebenswürdiges Mädchen seyn, eine wahre Deutsche ist sie zugleich. Diese Nation weiß durchaus nichts zurechtzulegen, durchaus stolpern sie über Strohhalmen. Du hast die Frage sehr umständlich, freundlich und vernünftig beantwortet; man kann es auch geradehin als einen Zufall betrachten, der bey Freunden, die soviel herüber- und hinüberwirken, gar leicht vorkommen konnte. Eben so quälen sie sich und mich mit den Weissagungen des Bakis, früher mit dem Hexen-Einmaleins und so manchem andern Unsinn, den man dem schlichten Menschenverstande anzueignen gedenkt. Suchten sie doch die psychisch-sittlich-ästhetischen Räthsel, die in meinen Werken mit freygebigen Händen ausgestreut sind, sich anzueignen und sich ihre Lebensräthsel dadurch aufzuklären! Doch viele thun es ja, und wir wollen nicht zürnen, daß es nicht immer und überall geschieht.
Wie vieles wäre noch zu sagen und zu schreiben; manches zunächst und in der Folge. Hiemit sey denn die Fülle der treusten Wünsche redlichst ausgesprochen.
Weimar den 4. December 1827.
G.