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An Georg Heinrich Ludwig Nicolovius
Immer habe ich, nahverwandter und verbundener Freund! eine einige Fügung in dem Umstande erblickt, daß wir niemals persönlich zusammen treffen und, in [27] reiferen Jahren, eine eigentlich vollkommene Vereinigung stiften können. Nun seh ich das Vergangene als ein Capital an, zu welchen die Interessen immerfort geschlagen worden, und wovon die erhöhten Zinsen uns in späterem Alter, unsern Kindern aber für ihre Lebenszeit zu Gute kommen. Auch daß Sie in Weimar zum erstenmal unter Umständen gelebt, bei denen ich nicht füglich hätte gegenwärtig sein können; daß Sie in dem Raum meines Hauses, an lebendigen Bewohnern und sprechenden Leblosigkeiten, meine Zustände nach eignem Sinn und Weise sich angebildet und mir dadurch um vieles näher geworden, scheint einem liebenvollen Sinne der moralischen Weltordnung ganz gemäß, so daß ich meinen Theil an dem wechselseitig genossen Guten wohl auf die nächste Folgezeit vertragen darf. Doch lassen Sie dieses nicht als unbestimmten Termin gelten, gründen wir darauf eine so nützliche als erfreuliche Familien-Einrichtung: daß die Unsrigen sich wechselseitig besuchen, eine Zeitlang zusammen verweilen, Gedanken und Gesinnungen austauschen und so zu einer wahren Vereinigung gelangen, welche auch die Väter endlich zusammenführt. Genau betrachtet ist es jetzt gewiß an der Zeit sich durch persönliche Verbindungen zu stärken, und auch in der Ferne solche Fäden anzuknüpfen, an denen wir, von Jahr zu Jahr, eine wahre Mannigfaltigkeit des Lebens aufsuchen können. Nur die wenigen Wochen auswärts haben mich über vieles weggehoben, womit [28] ich zu Hause kaum fertig geworden wäre. Auch Sie, auf einer größern Reise, werden gewiß manchen Zug und Bezug entdecken, der Ihren bedeutenden innern Wirkungskreis günstig aufhellt. Mit den herzlichsten Wünschen und dem innigsten Vertrauen
treulichst verbunden
J. W. v. Goethe.