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An Gottlob Friedrich Ernst Schönborn

[Frankfurt, 1. Juni – 4. Juli 1774.]

Am 25. Mai erhielt ich Ihren Brief er machte uns allen eine längst erwartete Freude, ich schnitt [170] mir gleich diese reine Feder um Ihnen einen Aequivalenten Bogen vollzupfropfen, kann aber erst heut d. 1. Jun. zum schreiben kommen. In der Nacht vom 28. auf den 29. May, kam Feuer aus in unsrer Judengasse das schnell und grässlich überhand nahm, ich schleppte auch meinen Tropfen Wasser zu, und die wunderbaarsten, innigsten, manigfaltigsten Empfindungen haben mir meine Mühe auf der Stelle belohnt. Ich habe bei dieser Gelegenheit das gemeine Volk wieder näher kennen gelern, und binn aber und abermal vergewissert worden dass das doch die besten Menschen sind. Ich dancke Ihnen herzlich, dass Sie so ins Einzelne Ihrer Reise mit mir gegangen sind, dafür sollen Sie auch allerlei hören aus unserm Reiche. Ich habe Klopstocken geschrieben und ihm zugleich was geschickt, brauchen wir Mittler um uns zu kommuniziren? Allerhand neues hab ich gemacht. Eine Geschichte des Titels: die Leiden des iungen Werthers, darinn ich einen iungen Menschen darstelle, der mit einer tiefen reinen Empfindung und wahrer Penetration begabt, sich in schwärmende Träume verliert, sich durch Spekulation untergräbt, biss er zuletzt durch dazutretende unglückliche Leidenschafften; besonders eine endlose Liebe zerrüttet, sich eine Kugel vor den Kopf schiesst. Dann hab ich ein Trauerspiel gearbeitet Clavigo, moderne Aneckdote dramatisirt mit möglichster Simplizität und Herzenswahrheit; mein Held ein unbestimmter, halb gros [171] halb kleiner Mensch, der Pendant zum Weislingen im Götz, vielmehr Weislingen selbst in der ganzen Rundheit einer Hauptperson; auch finden sich hier Scenen die ich im Götz um das Hauptinteresse nicht zu schwächen nur andeuten konnte. Auf Wielanden hab ich ein schändlich Ding drucken lassen, unterm Titel: Götter, Helden und Wieland, eine Farce. Ich turlupinire ihn auf eine garstige Weise über seine moderne Mattherzigkeit in Darstellung iener Riesengestalten der marckigen Fabelwelt. Ich will fluchen euch nach und nach das Zeug durch Gelegenheit nach Marseille zu spediren, übers Meer kann das Porto nicht viel tragen. Noch einige Plane zu grosen Dramas hab ich erfunden, das heisst das interessante Detail dazu in der Natur gefunden und in meinem Herzen. Mein Cäsar der euch einst freuen wird, scheint sich auch zu bilden. Mit Critick geb ich mich gar nicht ab. Kleinigkeiten schick ich an Claudius und Boje, davon ich diesem Brief einige beyfügen will. Aus Frankfurt bin ich nicht gekommen, doch hab ich so ein verworren Leben geführt, dass ich neuer Empfindungen und Ideen niemals gemangelt habe. Von der Landung vergangener Leipziger Messe Morgen. Für heute Adieu.

am 8. Juni. Ich fahre fort. Herder hat ein Werk drucken lassen: Aelteste Urkunde des Menschengeschlechts. Ich hielt meinen Brief inne um Ihnen auch Ihr Theil übers Meer zu schicken, noch aber [172] binn ich's nicht in Stande, es ist ein so mystisch weitstrahlsinniges Ganze, eine in der Fülle verschlungner Geschöpfsäfte lebend und rollende Welt, dass weder eine Zeichnung nach veriüngtem Maasstab, einigen Ausdruck der Riesengestalt nachäffen, oder eine treue Silhouette einzelner Teile, melodisch sympathetischen Klang in der Seele anschlagen kann. Er ist in die Tiefen seiner Empfindungen hinabgestiegen, hat drinne all die hohe heilige Krafft der simpeln Natur aufgewühlt und führt sie nun in dämmerndem, wetterleuchtendem hier und da morgendfreundlichlächelndem, Orphischem Gesang von Aufgang herauf über die Weite Welt, nachdem er vorher die Lasterbrut der neuern Geister, De – und Atheisten, Philologen, Textverbesserer, Orientalisten, mit Feuer und Schwefel und Fluthsturm ausgetilget. Sonderlich wird Michaelis von Skorpionen getödtet. Aber ich höre das Magister Volck schon rufen: er ist voll süsen Weins, und der Landpfleger wiegt sich auf seinem Stule und spricht: du rasest! Sonst hab' ich nichts von der Messe kriegt das der Worte unter uns werth wäre. Klopstocks Republick ist angekommen. Mein Exemplar hab ich noch nicht. Ich subscribirte ausserhalb. Der Trödelkrämer Merkurius fährt fort seine philosophisch moralisch poetische Bijouteries, Etoffes, Dentelles pp. nicht weniger Nürnberger Puppen und Zuckerwerck, an Weiber und Kinder zu verhandeln, wird alle Tage gegen seine Mitarbeiter schulmeisterlich impertinenter, [173] putzt sie wie Buben in Noten und Nachreden pp. Nun auch ein vernünftig Wort aus dem Leben, meine Schwester ist schwanger und grüst euch, wie auch ihr Mann. Der Dechant war einige Zeit kranck, jetzt sind wir in dem Garten fleisig, säen, binden, gäten und essen, er will in der Apathie was vor sich bringen, ich aber der ich sehe es geht nicht, übe mich täglich in der Anakatastasis. Unter den übrigen die Sie haben kennen lernen hat sich nichts merckwürdiges zugetragen. Höpfner ist glücklich in seinem Ehestande. Lavater, der mich recht liebt, kommt in einigen Wochen her, wenn ich ihm nur einige Tropfen Salbstständigen Gefühls einflösen kann, soll michs hoch freuen. Die beste Seele wird von dem Menschenschicksaal so innig gepeinigt, weil ein krancker Körper und ein schweiffender Geist ihm die kollecktive Krafft entzogen, und so der beste Freude, des Wohnens in sich selbst beraubt hat. Es ist unglaublich wie schwach er ist, und wie man ihm, der doch den Schönstens schlichtesten Menschenverstand hat, den ich ie gefunden habe, wie man ihm gleich Rätsel und Mysterion spricht, wenn man aus dem in sich und durch sich lebenden und würckenden Herzen redet.

am 10. Juni. Klopstocks herrliches Werck hat mir neues Leben in die Adern gegossen. Die Einzige Poetick aller Zeiten und Völcker. Die einzige Regeln die möglich sind! Das heisst Geschichte des Gefühls [174] wie es sich nach und nach festiget und läutert und wie mit ihm Ausdruck und Sprache sich bildet; und die biedersten Aldermanns Wahrheiten, von dem was edel und knechtisch ist am Dichter. Das alles aus dem tiefsten Herzen, eigenster Erfahrung mit einer bezaubernden Simplizität hingeschrieben! Doch was sag ich das Ihnen der's schon muß gelesen haben. Der unter den Jünglingen den das Unglück unter die Rezensentenschaar geführt hat, und nun wenn er das Werck las nicht seine Federn wegwirft, alle Kritick und Kriteley verschwört, sich nicht gerade zu wie ein Quietist zur Contemplation seiner selbst niedersezt, aus dem wird nichts. Denn hier fliesen die heiligen Quellen bildender Empfindung lauter aus dem Trone der Natur.

d. 4. Juli. Lavater war fünf Tage bey mir und ich habe auch da wieder gelernt, dass man über niemand reden soll den man nicht persönlich gesehen hat. Wie ganz anders wird doch alles. Er sagt so offt daß er schwach sey, und ich habe niemand gekannt der schönere Stärcken gehabt hätte als er. In seinem Elemente ist er unermüdet thätig, fertig, entschlossen, und eine Seele voll der herzlichsten Liebe und Unschuld. Ich habe ihn nie für einen Schwärmer gehalten und er hat weniger Einbildungskrafft als ich mir vorstellte. Aber weil seine Empfindungen ihm die wahrsten, so sehr verkannten Verhältnisse der [175] Natur in seine Seele prägen, er nun also iede Terminologie wegschmeisst, aus vollem Herzen spricht und handelt und seine Zuhörer in eine fremde Welt zu versetzen scheint, indem er sie in die ihnen unbekannte Winckel ihres eignen Herzens führt; so kann er dem Vorwurf eines Phantasten nicht entgehen. Er ist im Emser Bade, wohin ich ihn begleitet habe.

Mit Klopstocks Gelehrten Republick ist die ganze Welt unzufrieden, es versteht sie kein Mensch. Ich sah wohl voraus was für eine erbärmliche Figur das herrliche Buch in den Händen aller Welt machen würde.

Lavaters Phisiognomick giebt ein weitläufiges Werck mit viel Kupfern. Es wird große Beiträge zur bildenden Kunst enthalten, und dem Historien und Portraitmahler unentbehrlich seyn.

Heinse den Sie aus der Ubersetzung des Titels: Laidion oder die eleusinischen Geheimnisse. Es ist mit der blühendsten Schwärmerei der geilen Grazien geschrieben, und lässt Wieland und Jakobi weit hinter sich, obgleich der Ton und die Art des Vortrags, auch die Ideen Welt in denen sich's herumdreht mit den ihrigen coinzidirt. Hinten an sind Ottave angedruckt die alles übertreffen was ie mit Schmelzfarben gemahlt worden.

Die letzte Seite will ich mit Reimen besetzen. Ich habe die Zeit her verschiednes geschrieben, doch nichts [176] ist völlig zu Stande. Schreiben Sie mir bald von Ihrem Leben. Meine Eltern, Schwester und Freunde grüsen.

Leben Sie wohl aber und abermal und behalten mich lieb.

G.

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