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An Katharina Fabricius?

Saarbrück am 27. Jun.

Wenn das alles aufgeschrieben wäre, liebe Freundinn, was ich an Sie gedacht habe, da ich diesen schönen Weeg hierher machte, und alle Abwechselungen eines herrlichen Sommertags, in der süsesten Ruhe genoß; Sie würden mancherley zu lesen haben, und manchmal empfinden, und offt lachen. Heute regnet's, und in meiner Einsamkeit finde ich nichts reitzenders als an Sie zu dencken; an Sie; das heißt zugleich an alle die Sie lieben, die mich lieben und auch sogar an Räthgen, von der ich doch weiß daß sie sich nicht verläugnen wird, daß sie gegen meine Briefe seyn wird, was sie gegen mich war, und daß sie – Genug, wer sie auch nur als Silhouette gesehn hat, der kennt sie.

Gestern waren wir den ganzen Tag geritten, die Nacht kam herbey und wir kamen eben aufs Lothringische Gebürg, da die Saar im lieblichen Thale unten vorbey fließ. Wie ich so rechter Hand über die grüne Tiefe hinaussah und der Fluß in der Dämmerung so graulich und still floß, und lincker Hand die schweere Finsterniß des Buchenwaldes vom Berg über mich herabhing, wie um die dunckeln Felsen durchs Gebüsch die leuchtenden Vögelgen still und geheimnißvoll zogen; da wurds in meinem [235] Herzen so still wie in der Gegend und die ganze Beschweerlichkeit des Tags war vergessen wie ein Traum, man braucht Anstrengung um ihn im Gedächtniß aufzusuchen.

Welch Glück ist's ein leichtes, ein freyes Herz zu haben! Muth treibt uns an Beschweerlichkeit, an Gefahren; aber grose Freuden werden nur mit groser Mühe erworben. Und das ist vielleicht das meiste was ich gegen die Liebe habe; man sagt sie mache mutig. Nimmermehr Sobald unser Herz weich ist, ist es schwach. Wenn es so ganz wann an seine Brust schlägt, und die Kehle wie zugeschnürt ist, und man Trähnen aus den Augen zu drücken sucht, und in einer unbegreiflichen Wonne dasitzt wenn sie fließen. O da sind wir so schwach daß uns Blumenketten fesseln, nicht weil sie durch irgend eine Zauberkrafft starck sind, sondern weil wir zittern sie zu zerreißen.

Mutig wird wohl der Liebhaber der in Gefahr kömmt sein Mädgen zu verlieren, aber das ist nicht mehr Liebe, das ist Neid. Wen ich Liebe sage, so versteh ich die wiegende Empfindung, in der unser Herz schwimmt, immer auf Einen Fleck sich hin und her bewegt, wenn irgend ein Reiz es aus der gewöhnlichen Bahn der Gleichgültigkeit gerückt hat. Wir sind wie Kinder auf dem Schaukelpferde immer in Bewegung, immer in Arbeit und nimmer vom Fleck. Das ist das wahrste Bild eines Liebhabers.

[236] Wie traurig wird die Liebe, wenn man so schenirt ist, und doch können Verliebte nicht leben ohne sich zu scheniren.

Sagen Sie meinem Fränzgen daß ich noch immer ihr binn. Ich habe sie viel lieb, und ich ärgerte mich offt daß sie mich so wenig schenirte; man will gebunden seyn, wenn man liebt.

Ich kenne einen guten Freund, dessen Mädgen offt die Gefälligkeit hatte bey Tisch des Liebsten Füße zum Schemmel der ihrigen zu machen. Es geschah einen Abend daß er aufstehen wollte eh es ihr gelegen war, sie drückte ihren Fuß auf den seinigen, um ihn durch diese Schmeicheley fest zu halten; unglücklicher Weisse kam sie mit dem Absatz auf seine Zehen, er stand viel Schmerzen aus, und doch kannte er den Werth einer Gunstbezeugung zu sehr um seinen Fus zurückzuziehen.

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