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An Christoph Ludwig Friedrich Schultz
Am 29. August ging die Kiste mit den zwey Formen, von Stadelmann vorsichtig gepackt, durch einen zuverlässigen Fuhrmann nach Leipzig ab; wahrscheinlich ist sie nunmehr in Berlin angelangt, an Herrn Rauch addressirt.
Der Trippelische Gyps von meiner römischen Büste ist, wie mein Sohn vermeldet, auch schon nach Berlin; haben Sie die Surrogate meiner Gegenwart lieb, da ich mich persönlich dort wohl schwerlich Ihrer herrlichen Zustände freuen kann. Am 13. September ging ein Brief ab, auf Schubarth und Olfried und Lisena bezüglich. Es ist gut, daß man immer fortschreibe und nicht Zug für Zug mit Briefen mäkeln wolle.
Eine Reise Meyers nach Berlin habe lange gewünscht und ich werde ihn möglichst anregen; freylich [257] verläßt er nicht gern seine beschränkten ruhigen Zustände, doch ist er gesunder als je und fühlt so gut als wir, daß nicht zu berechnen sey, was in der gegenwärtigen fruchtverheißenden Zeit ihm, Ihnen und uns, in Breite und Tiefe, für Gutes und Heilsames entspringen könne.
Mich wird freuen, was Sie über das Capitel der entoptischen Farben im Einzelnen sagen, den Hauptangel, worum sich's Ganze dreht, haben Sie gleich gefunden, man möchte sagen die Gewalt des Trüben auf's Trübe und die schönste Darstellung des eigentlich Polaren in allen diesen Erscheinungen; es ist ein ewiges Berlicke Berlocke, dessen Behendigkeit Niemand fesseln kann. Man sehe nur, wie sich die Meteorologen mit ihrem + und – E herumquälen, um es tabellarisch in Reih und Glied zu bringen.
Auch die Howardische Wolkenform habe ich behandeln müssen; unser Großherzog hat dergleichen bedeutende Anstalten, und wenn man lernfähig ist, so kann man überall belehrt werden. In Breslau haben sie einen wackern Mann in diesem Fach an Brandes.
Mit Verlangen erwarte ich die angekündigten Sendungen; manche Kupfer hab ich in duplo, welche zu Diensten stehen; von Leipzig aus der Meyerschen Auction.
Diese Kupferstich-Auctionen geben mir, außer der angenehmen Unterhaltung, die man immer bey neuen[258] Acquisitionen erfährt, noch den ganz wunderbaren Blick in die Liebhaberey überhaupt. Nach gewissen Dingen wird im Augenblick gar nicht gefragt, andere wieder überschätzt. So hab ich einen untadelhaften Abdruck von der großen Flucht nach Ägypten von Goudt nach Elsheimer für 8 Groschen erhalten; dagegen eine Originalradirung von Potter, zwar keinen nachgearbeiteten, aber doch blassen Druck mit 6 rh. zu bezahlen gehabt.
In Dresden war aus der Bischof Schneiderischen Auction nichts zu gewinnen, es ward alles übertrieben bezahlt; die Leipziger halten ein gewisses Mittel, wo man wenigstens im Durchschnitt zufrieden seyn kann. Die Frankfurter fand ich sehr leidlich und war ärgerlich, daß ich nicht auf mehreres Aufträge gegeben. Mich verlangt jetzt nur auf die Nürnbergische Preißlerische, wobey ich mich aber auch sehr mäßig verhalten habe, obgleich dieß immer noch die wohlfeilste Weise ist, wie man zu hohen und vielfachen Ansichten der neuen Kunst gelangen kann.
Die zweyzeilige Inschrift in die Theaterfriese (wenn man den Raum nicht gar leer läßt) wollt ich so eben kritisiren, als ich das Blättchen nicht vorfinde, wie es unser trefflicher Schinkel niedergeschrieben; soviel aus der Erinnerung: sie ist historisch, aber nicht sinnig und sagt, was im Grunde ein jeder weiß und was man in tausend Jahren noch wissen wird; dieß darf also explicit nicht ausgesprochen werden, sondern [259] nur angedeutet. Ich setze nur Steine in's Brett, um mich deutlich zu machen, ohne Controvers:
Fridericus Guilielmus III. Restaurat auget ornat 1820.
Das Präsens brauch ich, nach beliebter Poetenweise, die höchstens in's Imperfectum gehen und das Perfectum etc. den Historikern überlassen. Und ist denn nicht, wenn man die Jahrzahl 1820 setzt, das Präsens sogleich ausgesprochen?
Frage also ein Nachkömmling oder Fremder: restaurat? Ist denn dieß kein neues Gebäude? So antwortet ihm der Großvater oder der Lohnbediente: Nein! es war abgebrannt, (das incendium an dem frisch errichteten Gebäude zu wiederholen ist mir ganz zuwider); auget? Es ist vergrößert; ornat? Es ist höchlich verziert; die Jahrzahl sagt, wann es geschah. In 50 Jahren wissen sie, wie lang es her ist.
Verzeihen Sie, es sind dieß nur Bauern, die ich im Brettspiel vorwärts bewege, welchen die Offiziere nachrucken mögen oder auch entgegen; ich lasse mir alles gefallen. Und erlauben Sie, daß ich in dieser Art fortschreibe: ich bilde mir nicht ein Recht zu haben, aber das weiß ich, daß ich auf's Rechte losgehe.
Indem ich dieses im Stillen in Gegenwart Ihres Briefs, als wären Sie selbst gegenwärtig, verhandle, so hat meine gute Schwiegertocher einen gesunden muntern Knaben, nach langen ausgedauerten Leiden, geborgen. Mein Sohn, der seit mehreren Monaten mitgelitten, war höchlich zu bedauern, da ich ihn [260] wenigstens als ein Muster eines treuen und theilnehmenden Ehemannes verehren muß. Ich bin in alles, was erfolgen kann, ergeben, obgleich ihr Verlust einen unübersehbaren Umsturz meiner Zustände hervorbringen müßte. So fahren wir, mit den Unsrigen, auf dieser dünnen Eiskruste auf Stahlschuhen hin und wieder, des Versinkens eines oder des andern täglich gewärtig.
Nun noch zu dem wissenschaftlichen Hefte, wovon Sie den Haupttheil kennen. Sie werden mich treu finden an jeder Sache; wie ich das alles aber jetzt gedruckt sehe, so werd ich , auf dem Stuhle sitzend, wirklich müde, in Betracht des zurückgelegten Wegs und Irrwegs, der doch zuletzt wie eine Art von Weg aussieht.
Herrn Geh. Ober-Baurath Schinkel bin ich höchlich verpflichtet für die Neigung, meine Wünsche zu begünstigen. Dießmal würde, wie er selbst am Schlusse seines Blattes bemerkt, nur das Körbchen mit lebendigem Zierrath in jenem bestimmten Raume Platz finden. Freylich bringt ein solcher Künstler Ernst und Stil in ein Unternehmen, das zuerst nur leichtsinnig concipirt war und nunmehr im Ganzen modificirt werden muß. Wovon fernerhin nähere Nachricht gebe. Keine Inschrift findet sich vorerst und dürfte nur das innere Rund erbeten werden.
[261] So weit war ich gekommen, als Ihr lieber Brief vom 18. einlangt und zugleich Ernst Schubarth sich einstellt.
Sein Äußeres ist anfänglich nicht ganz günstig, besonders in Bezug auf mich, weil ich die Brillen hasse. Lassen Sie sich aber nun gleich seine Jugend- und Bildungsgeschichte erzählen, so wird Ihnen Breslau, das Sie kennen, noch klärer und deutlicher seyn als mir, der ich's nicht kenne. Zu bewundern ist das reine Aufnehmen der Äußerlichkeiten mit Gegengefühl ohne Widerstreit. Alles andere sey Ihnen überlassen; ich sage kein Wort weiter; denn ich bin mit allem, was Sie in Ihrem Briefe sagen, vollkommen übereinstimmend.
Wie es mit Ihren plastischen Zwillingen zuletzt aussehen wird, weiß ich nicht; Gott gebe Ihren diplomatischen Tugenden die freylich in diesem Fache höchst nöthige Langmuth!
Nächstens mehr! Hofrath Meyer hat sich selbst angekündigt und wird diesem Briefe bald folgen. Möge alles zum Besten gerathen!
treulichst
J. W. v. Goethe.
So eben kommt auch die Rolle mit beider Schreiben vom 21. und 23. Vorläufigen tausendfältigen Dank!
am 26. September.
[262] Nach abermaliger Überlegung geht der junge Mann, der zu bestimmten Tag in Breslau seyn muß, gerade dahin zurück; es ist in manchem Sinne besser. Man behält bey näherem Umgange die gute Meinung von ihm und sie vermehrt sich. Inniger und folgereicher habe ich nicht leicht ein Wesen gesehen.