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An Charlotte von Stein

Rom d. 17. [- 20.] Jan. 87.

Heute kommt mir dein Brief der mir die Ankunft des Tagebuchs meldet, wie erquickt er mein Gemüth. Seit dem Todte meiner Schwester hat mich nichts so betrübt, als die Schmerzen die ich dir durch mein Scheiden und Schweigen verursacht. Du siehst wie nah mein Herz bey dir war. Warum schickt ich dir nicht das Tagebuch von jeder Station! Ich kann nur sagen und widerholen verzeih und laß uns von neuem und freudiger zusammen leben. Mein kürzeres Tagbuch von Venedig auf Rom hast du nun auch. In Rom konnt ich nicht mehr schreiben. Es dringt zu eine grose Masse Existenz auf einen zu, man muß [139] eine Umwandlung sein selbst geschehen laßen, man kann an seinen vorigen Ideen nicht mehr kleben bleiben, und doch nicht einzeln sagen worinn die Aufklärung besteht. Meine Briefe, die ostensiblen Blätter mögen eine Art Tagebuch vorstellen. Die Reise nach Neapel sollst du geschrieben und gezeichnet haben, denn Tischbein geht mit. Ich wiederhohle daß du mit allem was ich dir schicke schalten und walten magst nach Gefallen. Der Herzoginn Mutter, Franckenbergs Prinz August, oder sonst wem du mein Andencken erneuern, wen du dir und mir durch kleine Freuden verbinden willst.

Du schreibst mir der Herzog gehe nach Carlsruh, er ist in Politicis so tief, daß ich nicht dencke seine Absicht sey über die Alpen zu gehen.

Käme irgend so ein Gedancke vor; so sorge daß nichts ohne meinen Rath geschehe. Italien ist ein wunderlich Land für Fremde, besonders Vornehme Reisende. Ich kann nun schon manche Kosten, manchen Verdruß ersparen und manchen Genuß verschaffen. Rom ist sogar ein wenig kleinstädtisch in manchen Dingen, davon mündlich mehr. Ich hoffe nun auf deine Worte wegen meines Aussenbleibens und was meine Geliebte zu meinen verschiednen Reiseplanen sagt. Kranz war heute bey mir er geht das Neapolitanische Carnaval zu besuchen. Er ist dick und fett geworden. Der Prof. Moritz geht wieder aus, sein Arm ist glücklich kurirt. Tischbein wird mir immer werther.

[140] Nun noch ein Wort, ich komme von einem ins andre. Knebel scheint hieher kommen zu wollen, ich weiß nicht recht was ich dazu sagen soll. Wäre er gleich jetzt hier, würde er mir unendlich werth seyn, kommt er wenn ich von Neapel zurück komme; so kreutzen wir uns und helfen einander nicht. Übrigens kann ich nichts dazu sagen, weil ich nicht weiß was ihr über mein Aussenbleiben entscheiden werdet.


d. 18.

Ich dancke dir für alle Nachrichten, auch von des alten Königs Nachlaß. Wie gern ist man still wenn man so einen zur Ruhe gebracht sieht. Heute haben wir einen guten Tag gehabt, einen Teil des Capitols besehn, den ich bisher vernachläßigt, dann setzten wir über die Tiber und trancken spanischen Wein auf einem Schiffe. Ein Stück Ufer dieses Flusses hab ich dir gekritzelt ohngefähr 1000 Schritte weiter unten als der Platz wo Romulus und Remus gefunden worden.

Wir sahen bey einem Geistlichen der ohne groses angebohrnes Talent sein Leben der Kunst gewidmet hat, sehr interessante Kopien trefflicher Gemählde, die er in Miniatur nachgebildet hat. Sein vorzüglichstes ist ein Abendmal nach Leonard da Vinci in Mayland.

Kann ich dir einen Umriß mitbringen, so bin ich glücklich. Der Moment ist genommen da Kristus den Jüngern, mit denen er vergnügt und freundschafftlich zu Tische sitzt, sagt: Aber doch ist einer unter euch der mich verräth. Mit Worten ist da nichts sagen,[141] wenns möglich ist, sollst du einen Schatten des Bildes sehn.

Der Herkules Farnese wird nach Neapel gebracht, worüber das ganze Künstler-Rom trauert, es ist ein Werck von unbegreiflicher Kunst und Schönheit.

Diese Tage ward das Trauerspiel Aristodem glücklich aufgeführt. Der Haupt Ackteur spielte sehr gut, man glaubte einen der alten Kayser auftreten zu sehn. Sie hatten das Costum in Theater Pracht recht gut übersetzt und man sah dem Schauspieler an daß er die Anticken studirt hatte.

Gewiß ist in Rom alles zu studiren, wer Sinn und Trieb hätte. Obgleich die Künste würcklich schwach getrieben werden, am schwächsten die Musick.

d. 17. war das Fest der Pferde Weihe, wo zu der Kirche des Anton Bischoff alle Pferde und Maulesel geputzt vorgeführt werden. Es ist ein lustiges Fest besonders für Kutscher und Pferde Verleiher.

Lebe wohl. Diesmal sag ich dir nicht mehr als bleibe bey mir und erhalte mir deine Liebe.

Tausendmal denck ich an dich. Grüse alles. Fritzen und Ernsten dancke für die Briefe. Schicke mir nur alles was Fritz schreibt.


d. 20. Jan.

Ich fange noch ein Blat an, denn ich finde manches zu sagen.

Frage doch die regierende Herzoginn ob sie nicht vielleicht etwas von dem alten oder neuen Rom besonders [142] zu wissen verlangt. Sie liest die römische Geschichte fleißig und da kommt vielleicht etwas vor das sie näher untersucht oder bestimmt verlangt.

Eine wunderbare Erscheinung war mir hier der Fürst von Waldeck mit dem Schätzgen aus Carlsbad. Ich habe ihn besucht, sie aber nur von weiten gesehen. Sie ist mit dem Bischoff von Prag verwandt und ihr alter Mann ist auch mit hier, also kann es wohl nicht fehlen, daß es das Silhouettchen sey.

Franckenbergs grüße 1000mal und versichre daß ich wegen Ganganellis Todt scharfe Nachfrage halten werde. Grüße den Geh. Assistenz Rath Schmidt und Hofr. Voigten aufs beste.

Daß mein Packet auf deinen Geburtstag ankam freut mich doch, ich hab ihn im stillen gefeyert. Deine Briefe hab ich alle richtig erhalten. So wie du meine. Ich dancke dir fürs Liedchen und für jedes herzliche Andencken.

Ich habe Hoffnung Egmont, Taßo, Faust endigen, und neue Gedancken genug zum Wilhelm. Zugleich les ich den Livius- und ich würde dich verwirren wenn ich dir sagen wollte was sonst alles auf mich zudringt.


Abends.

Dein Brief vom 1. Jan. ist mir gekommen und hat mir Freude und Schmertzen gebracht. Dazu kann ich nichts weiter sagen als: ich habe nur Eine Existenz, diese hab ich diesmal ganz gespielt und spiele [143] sie noch. Komm ich leiblich und geistlich davon, überwältigt meine Natur, mein Geist, mein Glück, diese Krise, so ersetz ich dir tausendfältig was zu ersetzen ist. – Komm ich um, so komm ich um, ich war ohne dies zu nichts mehr nütze.

Moritz wird mir wie ein Spiegel vorgehalten. Dencke dir meine Lage, als er mir mitten unter Schmerzen erzählte und bekannte daß er eine Geliebte verlaßen, Ein nicht gemeines Verhältniß des Geistes, herzlichen Anteils pp zerrißen, ohne Abschied fortgegangen, sein bürgerlich Verhältniß aufgehoben! Er gab mir einen Brief von ihr, den ersten zu eröffnen, den er zu lesen sich in dem fieberhafften Zustande sich nicht getraute. Ich mußte ihr schreiben, ihr die Nachricht seines Unfalls geben. Dencke mit welchem Herzen.

Jetzt geht er wieder aus und schleicht zu mir. Was ist das Leben! was sind die Menschen! Du siehst aus meinen vorigen Briefen daß ich gern und willig wiederkehre daß mein Gemüth nur zu euch zurückhängt. Möge es mir werden.

Grüse Herdern. Hier schick ich einen Probe Druck des Kupfers zum 3ten Bande. Die Platte selbst soll mit den Vignetten den nächsten Posttag abgehn.

Auch leg ich einige Visiten Karten, zum Spase für Fritzen bey. In einem Packet das ein Reisender nach Deutschland mitnimmt liegen ihrer mehr die er an Freunde austheilen mag. Hätt ich ihn nur bey mir.

Gestern Abend verlangte Angelika daß ich ihr[144] etwas aus der Iphigenie läse, ich sagte ihr daß ich verlegen sey wegen der Seltsamkeit des Versuchs den ich mit diesem Stücke gewagt. Dagegen erzählt ich ihr und ihrem alten italienischen Gemahl den Plan und Gang des Stücks, sie hatten viel Freude daran. Du hättest sehn sollen wie der Alte alles so gut sentirte, von ihr versteht sichs von selbst.

Grüse Hofr. Voigt, mit dem nächsten Posttag schreib ich ihm. Das gleiche kannst du etwa Hendrichen sagen, wenn du ihn stehst.

Fritzen bringe ich Schwefel Abdrücke mit.

Weißt du etwa was Ernsten Freude machte, ingleichen den kleinen Herders. Den letzten wollt ich ein Studium der Marmorarten mitbringen.

So lang ich hier bin kannst und sollst du immer von mir hören, wie ich nach Neapel rucke wird eine kleine Pause werden.

Grüße Steinen und alle. Die Imhof und die Kleine, überhaupt wenn man einmal so zusammensäße; könnte man mir ein kollegialisch Briefgen schreiben. Indem der mir schreibt bring' ich ein Bildgen mit.

Lebe wohl. Mein bester Wunsch für dieses Jahr ist dich wieder zu sehn.

d. 20. Abends.

G. [145]

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