41/174.

An Wilhelm von Humboldt

Brief und Sendung, verehrtester Freund, gaben mir ein höchst erwünschtes Zeichen fortdauernden Andenkens und freundlicher Theilnahme. Möchte ich nur auch von Ihrem Wohlbefinden gleichermaßen versichert seyn; ich für meine Person habe mich nicht zu beklagen: ein Schiff, das nicht mehr die hohe See hält, ist zu einem Küstenfahrer vielleicht immer noch nütze.

Ich habe den ganzen Sommer zu Hause zugebracht und ungestört an der Ausgabe meiner Werke fortgearbeitet. Erinnern Sie sich wohl noch, mein Theuerster, einer dramatischen Helena, die im zweyten Theil von Faust erscheinen sollte? Aus Schillers Briefen vom Anfang des Jahrhunderts sehe ich, daß ich ihm den Anfang vorzeigte, auch, daß er mich zur Fortsetzung treulich ermahnte. Es ist eine meiner ältesten Conceptionen, sie ruht auf der Puppenspiel-Überlieferung, daß Faust den Mephistopheles genöthigt, ihm die Helena zum Beylager heranzuschaffen. Ich habe von Zeit zu Zeit daran fortgearbeitet, aber abgeschlossen konnte das Stück nicht werden, als in der Fülle der Zeiten, da es denn jetzt seine volle 3000 Jahre spielt, von Troja's Untergang bis zur Einnahme von Missolunghi. Dieß kann man also auch für eine Zeiteinheit rechnen, im höheren Sinne; die Einheit des Orts und der Handlung sind aber auch im gewöhnlichen [202] Sinn auf's genauste beobachtet. Es tritt auf unter dem Titel:

Helena

classisch-romantische

Phantasmagorie.


Zwischenspiel zu Faust.


Das heißt denn freylich wenig gesagt, und doch genug, hoff ich, um Ihre Aufmerksamkeit auf die erste Lieferung lebhafter zu richten, die ich von meinen Arbeiten zu Ostern darzubieten gedenke.

Dann frag ich mit mehr Zuversicht: Sie erinnern sich wohl noch eines epischen Gedichts, das ich gleich nach Beendigung von Herrmann und Dorothea im Sinn hatte: Bey einer modernen Jagd kamen Tiger und Löwe mit in's Spiel; damals riethen Sie mir die Bearbeitung ab, und ich unterließ sie; jetzt, bey'm Untersuchen alter Papiere, finde ich den Plan wieder und enthalte mich nicht, ihn prosaisch auszuführen, da es denn für eine Novelle gelten mag, eine Rubrik, unter welcher gar vieles wunderliche Zeug cursirt.

Das Bild eines recht lebendigen Weltlebens ist übrigens in dieser letzten Zeit in meine Clause gekommen, das mich sehr unterhält: das Journal des Herzogs Bernhard von Weimar, der im April 1825 von Gent abreiste und vor kurzem erst wieder bey uns eintraf. Es ist ununterbrochen geschrieben, und [203] da ihn sein Stand, seine Denkweise, sein Betragen in die höchsten Regionen der Gesellschaft einführten, er sich in den mittlern Zuständen behagte und die geringsten nicht verschmähte, so wird man auf eine sehr angenehme Weise durch die mannichfaltigsten Lagen durchgeführt, welche unmittelbar anzuschauen mir wenigstens von großer Bedeutung war.

Nun aber muß ich versichern, daß mir und Riemern das übersendete Programm recht zu Gunsten gekommen und über Sprache und Philosophie zu verhandeln gar löblichen Anlaß gegeben. Abgeneigt bin ich dem Indischen keineswegs, aber ich fürchte mich davor, denn es zieht meine Einbildungskraft in's Formlose und Difforme, wovor ich mich mehr als jemals zu hüten habe; kommt es aber unter der Firma eines werthen Freundes, so wird es immer willkommen seyn, denn es gibt mir die erwünschte Gelegenheit mich mit ihm zu unterhalten von dem, was ihn interessirt und gewiß von Bedeutung seyn muß.

Nun aber, da ich mich zum Schluß anschicke, vermelde ich nur, daß ich beschäftigt sey, die aufgelösten Wanderjahre in ihren alten und neuen Theilen, als zwey Bände zusammenzufassen und zu vereinigen, bey welcher Arbeit mir nichts erfreulicher seyn könnte als den Hauptwanderer, Ihren hochverehrten Herrn Bruder bey uns zu begrüßen und von seiner immergleichen Thätigkeit unmittelbar zu vernehmen; wie ich denn auch Ihrer theuern Frau Gemahlin die besten Nachwirkungen [204] der in so hohen Regionen gesuchten Cur herzlich anzuwünschen nicht unterlasse.

und so für und für

in treulichster Theilnahme

Weimar den 22. October 1826.

Goethe.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek