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An Carl Friedrich Zelter

Fahre ja fleißig fort, mein Theuerster, an mich niederzuschreiben was du sonst niemand sagen magst; auch was deine Zustände und Umgebungen mir deutlich macht. Sehr hat es mich gefreut daß du dein Bedürfniß nach Tönen aussprichst; was aus dir selbst hervorquillt willst du auch von außen vernehmen. Eins fordert das andere und nur in solchen Mittheilungen besteht der wahre Genuß. Bey mir ist das Auge vorwaltend, und ich ergötze mich höchlich wenn mir gelingt, in Auctionen und von Kunsthändlern, irgend ein Kupfer, Radirung oder Zeichnung zu erlangen; freylich muß es aus älterer Zeit seyn, denn die neuern bringen uns, auf ein oder die andere Weise, meist in Verzweiflung.

[285] Ein herrliches Werk, wenn es vollendet ist, wird Toschi's Kreuzführung, nach Raphael. Es ist in Berlin gewiß mehrfach darauf unterzeichnet; ich besitze zwey Probedrücke, welche schon das Beste theilweise und das Beste im Ganzen zusichern. Versäume nicht darnach zu fragen, das Original ist das herrlichste Werk und die Nachbildung desselben höchst würdig.

Unschätzbar, in einem mindern Genre, aber inner halb dieses Kreises auf das liebenswürdigste gelungen, sind die zwey Hefte Neureuthers bildlich-musikalischer Compositionen, zur Seite meiner Balladen. Sie sind längst im Handel und sollten auch schon zu Euch gekommen seyn.

Dem altgegründeten Musiker wie dem wohlfundirten Poeten geht es denn doch in der neuern Zeit wie dem Zauberlehrling.


»Die ich rief die Geister
Werd ich nun nicht los.«

Ich habe nun noch eine besondere Qual daß gute, wohlwollende, verständige Menschen meine Gedichte auslegen wollen und dazu die Specialissima, wobey und woran sie entstanden seyen, zu eigentlichster Einsicht unentbehrlich halten, anstatt daß sie zufrieden seyn sollten daß ihnen irgend Einer das Speciale so in's Allgemeine emporgehoben, damit sie es wieder in ihre eigene Specialität ohne Weiteres aufnehmen können.

[286] Doch fällt mir ein daß auch manchmal etwas Anmuthiges aus solchem Bestreben nach Particularitäten entspringen kann.

Eine geistreiche Dame sagte mir bey Gelegenheit jener leidenschaftlichen Elegie, die du mir so anmuthig in meinen schlechten Zuständen vorlasest: ich möchte dem Frauenzimmer, das diese Elegie veranlaßt hat, irgend etwas zu Liebe thun, um meinen Antheil an einem so liebevollen Gedicht auszudrücken.

Dein reines eignes Verhältniß zu Emilia Galotti soll dir nicht verkümmert werden. Zu seiner Zeit stieg dieses Stück, wie die Insel Delos, aus der Gottsched-Gellert-Weissischen pp. Wasserfluth, um eine kreisende Göttin barmherzig aufzunehmen. Wir jungen Leute ermuthigten uns daran und wurden deshalb Lessing viel schuldig.

Auf dem jetzigen Grade der Cultur kann es nicht mehr wirksam seyn. Untersuchen wir's genau, so haben wir davor den Respect wie vor einer Mumie, die uns von alter hoher Würde des Aufbewahrten ein Zeugniß gibt.

Nun aber möcht ich dich in Versuchung führen und dir das Lesen eines Büchleins von dem du schon gehört hat zumuthen: L'Ane mort et la Femme guillotinée. Die muntern, talentvollen jungen Franzosen glauben dem leidigen Genre der grausam-widerwärtigen Schauspiele und Romane dadurch ein Ziel zu setzen, daß sie solche geistreich noch übertreiben. [287] Hiebey merken sie nicht, daß sie den Geschmack des Publicums an dergleichen Productionen immer vermehren und ein lebhafteres Bedürfniß darnach erregen.

Weiter sag ich nichts als daß ich hoffe du wirst, nach gelesenem diesem Bändchen, dein wildes Berlin ganz idyllisch finden.

and so for ever

W. d. 27. März 1830.

G.


Hinzufügen aber muß ich noch die Bitte: du mögest, wenn ich auch manchmal schweige, doch immer hübsch fleißig zu schreiben nicht unterlassen. Ich habe noch einige Haupt- und Nebenlasten fortzuschleppen, die ich unter ein paar Monaten nicht an Ort und Stelle bringe; deshalb meine Gedanken zu dem besten Freunde in der Ferne zu wenden nicht immer fähig bin.

Die Correspondenz von 1828 ist abgeschrieben; deine Originale erhältst du zunächst; sende sodann das Jahr 1829 und sorge daß das laufende 1830 hübsch reich werde, damit unser Briefwechsel dereinst nicht endige wie der Schillerische, dem Rhein gleich, sich im gemeinen Sande des Tags verlierend.

Hiemit noch die freundlichsten Grüße an Felix, den du mir ankündigst. Ich sage meiner Umgebung nichts, damit die Freude ihn wieder zu sehen durch Überraschung noch gesteigert werde.

Wie immer und überall

Weimar den 27. März 1830.

G. [288]

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