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An Carl Friedrich Zelter

In diesen Tagen, mein Bester, geht die Kiste an Herrn Ternite mit den köstlichen Blättern, wohlgepackt nach Potsdam. Die nächsten Aushängebogen bringen dir unsre guten gründlichen Worte über diesen Schatz. Wir kommen selten in den Fall so ganz nach Herz und Sinn zu loben; denn manches was uns gebracht wird wüßten wir nicht einmal mit einer leidlichen Wendung abzulehnen, und Phrasen mögen wir nicht machen.

Ich erinnere mich in früherer Zeit , als ich mit einem bedeutenden Mann in Verhältniß stand, Folgendes erfahren zu haben. Der Fürst Primas, noch als Statthalter von Erfurt, unser Nachbar und Lebensgenosse, hatte an seiner hohen und einflußreichen Stelle und noch dazu als Selbstautor einen fruchtbaren Zudrang von literarischen Zusendungen, auf die als Mann von Stande, Lebensart und gutem Willen jederzeit etwas, wenn es auch nicht viel war, erwiderte. Nun besaß er zwar ausgebreitete Kenntnisse um solchen Fällen genug zu thun, aber wo hätt er Zeit und Besinnung hergenommen, um einem jeden vollkommene Gerechtigkeit widerfahren zu lassen; er hatte sich daher einen gewissen Styl angewöhnt, wodurch er die Leerheit seiner Antworten verschleierte und jedem etwas Bedeutendes zu sagen schien, indem [125] er ihm etwas Freundliches sagte. Es müssen dergleichen Briefe noch zu Hunderten herumliegen. Ich war von solchen Erwiderungen öfters Zeuge; wir scherzten darüber, und da ich eine unbedingte Wahrheitsliebe gegen mich und andere zu behaupten trachtete (die, weil ich doch auch oft in Irrthum war, manchmal wie eine Art von Wahnsinn erschien), so schwur ich mir hoch und theuer, in gleichem Falle, mit dem mich meine damalige Celebrität schon bedrohte, mich niemals hinzugeben, indem sich dadurch denn doch zuletzt alles reine wahrhafte Verhältniß zu den Mitlebenden auflösen und zerstieben muß.

Daraus folgt denn, daß ich von je her seltener antwortete, und dabey bleibt's denn auch jetzt in höhern Jahren aus einer doppelten Ursache: keine leeren Briefe mag ich schreiben, und bedeutende führen mich ab von meinen nächsten Pflichten und nehmen mir zu viel Zeit weg.

In der Kiste an Ternite liegt auch etwas für dich, ein einzelnes Blatt, aber von bedeutender Größe; befestige es an deine Wand, es ist vielleicht die wahrhaft größte Composition die sich jemals aus einem Menschengeiste entwickelt hat. Du kennst es wohl schon, aber man kennt es nie ganz, es ist wie alles Vortreffliche; wenn es unsern Sinnen entweicht, so sind die Erinnerungskräfte nicht fähig es wieder herzustellen, und wir dürfen uns glücklich schätzen wenn unsere Cultur im Ganzen dadurch einigermaßen zugenommen hat.

[126] Wie du nun bisher die griechischen Trauerspiele beschaut und die Erfordernisse des epischen Gedichts dir vor die Seele gerufen hast, so erfahre hier mit einem Blick was der bildende Künstler vermag. Freylich war es nur Einer, und nach ihm ist Niemand wieder auf diesen Grad begnadigt gewesen. Es wär aber auch nicht nöthig; für Millionen Beschauende und Genießende ist ein Producirender genug: so war es und wird's seyn. Gott sey Dank daß wir dieß kennen und fest daran halten.

Vorstehendes gilt, wie du leicht sehen wirst, vom Schlachtgetümmel; aber das ländliche Heimgehen zum Ausruhen wird dir nicht weniger behagen und zu den besten Betrachtungen Anlaß geben. Der Abdruck ist ursprünglich kostbar, nun verbräunt, beschädigt, befliegenschmutzt, laß dich das nicht irren und sieh durch den Schleyer hindurch. Ich habe noch mehreres von der besten Art, was ich dir nach und nach vor die Augen bringe. In diesem Sinne hab ich mir manches von Leipzig her vor kurzem doppelt verschafft.

Herrn Ternite künde gefälligst die Sendung an, ich weiß für vielfachem Äußern und Innern mich kaum zu lassen. Das Beste ist daß ich mich leidlich befinde und durch kein körperlich Übel gestört werde. Sage mir nun auch von dir, von deinem Haufe; bist du eingezogen? u.s.w.

treulichst

Weimar den 10. April 1827.

Goethe. [127]

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