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An Carl Friedrich von Reinhard

So sehr, verehrter und geliebter Freund, Ihre Briefe mich sonst erquicken und erfreuen, so sehr betrübte[58] mich der gegenwärtige. Den vom 14. Februar erhielt ich zu rechter zeit, in einer Arbeit wo ich weder rechts noch links sehen durfte. Aber ich habe ihn oft wieder gelesen, wie alle Ihre gehaltvollen Blätter, die immer wieder neue Gedanken aufregen und entwickeln. Sehr ungern denk ich Sie leidend, da ich mich im Verhältniß zu meinen Jahren und übriger Constitution ganz erträglich befinde und meinen Pflichten und Neigungen noch ziemlich gewachsen bin. Möge der liebe angeborne Secretär Ihre rechte Hand bleiben und ich vielleicht von Baden aus einige Worte von Ihrem Befinden in Marienbad vernehmen; bey der Thätigkeit aller Posten liegt die Welt nicht so weit einander.

Eben war ich im Begriff ein Bändchen einzupacken, das ich Ihrer Aufmerksamkeit empfehle, es erfolgt mit der nächsten fahrenden Post; Sie werden bedenklich lächeln, bey'm Datum – 1792, wo Sie noch ahndungsvollere Tage zubrachten als wir, die wir allenfalls über unsere Unbilden scherzen durften. Es ward mir manchmal wirklich schwindlich, indem ich das Einzelne jener Tage und Stunden in der Einbildungskraft wieder hervorrief und dabey die Gespenster, die sich dreyßig Jahre her dazwischen bewegt, nicht wegbannen konnte; sie liefen ein- und das anderemal wie ein böser Einschlag über jenen garstigen Zettel. Hundertmal, ich sollte lieber sagen ununterbrochen, hab ich an Sie, mein Theuerster gedacht, der zu selbiger Zeit [59] dort drinne thätig und leidend so vieles erlebte, ob ich gleich in diesem Augenblicke mich Ihrer Lage nicht mehr deutlich erinnere.

Auch ein morphologisches Heft gedenk ich noch vor meiner Abreise zu senden, es wird nicht ohne Interesse für Sie seyn und Sie theilweise an unser früheres Zusammenleben erinnern. Diese Naturbetrachtungen möchten denn doch wohl das Letzte bleiben was bey mir aushält, besonders da ich mehr Theilnahme hevorthut und mehr Verknüpfung nach allen Seiten sich anläßt.

In Berlin haben es Gönner und Freunde so weit gebracht, daß ein Zimmer des Akademie-Gebäudes der Farbenlehre nach meinen Wünschen gewidmet worden; der Apparat ist beynahe vollständig, ich suche das Mögliche beyzutragen. Ein junger Mann aus Hegels Schule hat sich von der Angelegenheit so durchdrungen, daß es mir selbst ein Wunder ist; denn in unsern Tagen mag jeder gern das Gethane umthun, um den Schein zu gewinnen, er habe etwas gethan.

Von der morphologischen Seite mich auch manches Freundliche, so daß nur nachzuhelfen und zu genießen brauche. Auch von auswärts ereignet sich mir Wünschenswerthes; die Franzosen übersetzen meine dramatischen Arbeiten und ich muß eine Befreyung von Vorurtheil, eine Höhe ihrer Ansicht bewundern, Indessen die Deutschen in einer beynahe unverständlich werdenden Sprache sich Gedanken und [60] Urtheil einander mittheilen, so bedient sich der Franzose herkömmlicher Ausdrücke, weiß sie aber so zu stellen, daß sie wie aus Planspiegeln zusammengesetzter Hohlspiegel kräftig auf einen Focus zusammen wirken.

In England hat ein Herr Soane meinen Faust bewundernswürdig verstanden und dessen Eigenthümlichkeiten mit den Eigenthümlichkeiten seiner Sprache und den Forderungen seiner Nation in Harmonie zu bringen gewußt; ich besitze die ersten Bogen mit nebengedrucktem Original. Überhaupt will mir bedünken, daß die Nationen sich unter einander mehr als je verstehen lernen; die Mißverständnisse scheinen nur innerhalb des eigenen Körpers einer jeden zu liegen.

Sie haben über diese Dinge mehr nachgedacht als ich, der nur einseitige Anschauungen hat; mir etwas darüber anzudeuten reicht wohl Ihr freundlicher Geheimschreiber eine liebevolle Hand.

Was sind übrigens für Conflicte, Wünsche, Hoffnungen, Wetten durch die letzten Ereignisse aufgehoben, gestört und entschieden! wie kühn erklären sich die Engländer, wenn Sie sagen, es sey jetzt gar nicht Zeit, das türkische Reich zu schwächen, man müsse ihm vielmehr recht zur Consistenz verhelfen. Es bleibt doch immer ein wunderbarer Fall, daß die entschiedene Übereinstimmung der Machthaber die gränzenlose Majorität der öffentlichen Meynung für dießmal überwand.

[61] Da ertappen Sie mich denn, mein Theuerster, wieder einmal auf politischen Betrachtungen, doch abermals wieder gegen Sie gerichtet, denn ich habe mich vorzüglich des Friedens zu erfreuen daß Sie Ihre Gesundheit zu sorgen dadurch die beste Nutze finden.

Und so für dießmal ein tausenfältiges Lebewohl!

treulichst

Weimar den 10. Juni 1822.

G.

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