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An Ernst Heinrich Friedrich Meyer

Nach langer Zeit ergreife eine Gelegenheit, Ihnen, mein Theuerster, zu versichern, daß ich der Naturwissenschaft, so wie den Freunden, die ich durch sie erworben, im Stillen treu geblieben sey, wenn ich auch schon in dem bewegten Kreise des Lebens, von den mannichfaltigsten Obliegenheiten umhergetrieben, Jahre lang, wo nicht als abtrünnig, doch wenigstens als vernachlässigend erscheinen mußte.

Der große Verlust, den wir vergangenen Juni erlitten, trieb mich von dem Orte weg, welcher nur als Wohnsitz des vorzüglichsten Fürsten reizend erscheinen konnte; ich verbrachte einige Monate auf dem Luftschloß Dornburg, wo man von blumenreichen Terrassen, umgeben von reichen Weingeländern und Stöcken, in eine Gegend hinabsieht, welche sich durch Fruchtbarkeit jeder Art dem Auge wie dem innern Sinn empfiehlt. Hier lebte die Neigung zur Pflanzenwelt unmittelbar wieder auf, eine übermäßige Flora von Zierblumen weckte manchen guten Gedanken, und die damals hoffnungsreich überdrängten Traubengeländer machten aufmerksam auf eine der wichtigsten Früchte. Die von Kecht empfohlene Methode, den Stock zu behandeln, hatte die dortigen Weinbauenden im Ganzen angeregt und im Einzelnen zur Nachahmung gestimmt.

[221] Hiezu fügte sich nun die zufällige Kenntniß, daß man in Frankreich, besonders auch in Genf auf die Maxime der Metamorphose aufmerksam geworden; ich las die Werke des Herrn De Candolle in diesem Sinne. Herr Hofrath Soret, die Erziehung unsres jungen Herrn Erbgroßherzogs leitend, von Genf gebürtig, von woher man ihn eben über diese Angelegenheit angeregt hatte, fand sich geneigt, mein bekanntes Heft zu übersetzen, und ich ward unter diesem allen wieder in den Kreis hineingezogen, in welchem ich so viele glückliche Stunden verlebt hatte.

Wir wurden einig, Original und Übersetzung abdrucken zu lassen; allein wie vieles Andere regte dieser Vorsatz nicht auf. Eine Betrachtung schloß sich an die andere, eine Untersuchung folgte der andern, und ich fand bey dem traurigsten Ereigniß, wahrhaft zu meinem Glück, eine beynah dreymonatliche Beschäftigung, die mich überraschend unterhielt und meine ganze Besinnung forderte, weil ich, genau besehen, in diesem Felde beynah fremd geworden.

Das erst beschränkt scheinende Unternehmen erweiterte sich, die sich entwickelnden Forderungen erschwerten das Geschäft, und wie ich jetzt wieder dran gehe, fühle ich, daß ich eines kräftigen Beystandes bedarf; und indem ich mich umsehe, besuch ich Sie in Ihrem Garten, dessen blühendes Bild Sie mir gefällig mittheilten, und der wohl jetzt wie unsre Beete mit hohem Schnee bedeckt liegen mag.

[222] Vorstehendes ist so lange liegen geblieben, bis der aufgehäufte Schnee beynah in seinen letzten Schlupfwinkeln schmelzen mußte, und ich sie nun bey'm Eintritt unsres Frühlings, bey schon hervorbrechenden Blümlein schönstens begrüßen kann. Ich zauderte mit Absendung dieses Blattes, weil ich in dem Geschäft etwas weiter vorrücken wollte. Und ich sage nur noch soviel:

Die Metamorphose wird zunächst abgedruckt, wörtlich nach der ersten Ausgabe, die Übersetzung dem Original möglichst angenähert, wenige Stellen, nach Maaßgabe der französischen Sprache, paraphrastisch ausgebildet. Als Einleitung wird die Geschichte der Studien des Verfassers, in weiterer Ausführung dessen, was schon im morphologischen Hefte angeführt war , vorgetragen. Mit beiden sind wir schon überhaupt im Reinen; was noch an der Ausführung und Vollendung fehlt, wird nächstens gethan seyn.

Nun aber sollte die Wirkung dieses Büchleins auf den Gang der Wissenschaft bis auf den heutigen Tag hinzugefügt werden; da mir hievon aber nur wenig bekannt ist, so hab ich mich nach fremder Hülfe umgesehen. Hofrath Voigt in Jena, welcher der erste war, der sich der Sache annahm, hat mir einen kurzen flüchtigen Aufsatz, auf mein Ersuchen, diesen Sommer mitgetheilt; das Verzeichniß der darin aufgeführten Namen lege hier bey; sie sind nach den Jahren aufgeführt, aber der Ihrige fehlt, und von wem könnt[223] ich mir besser als von Ihnen selbst die Geschichte Ihrer eignen freundlichen Einwirkung erbitten, wie ich es hier thue und zugleich anfrage: ob Sie mir zu meinen Zwecken nicht noch weitere Umsicht geben wollen? So findet sich z.B. der Name Röper nicht darunter, von dem ich zwar nur im Allgemeinen weiß, daß er diese Maxime, vielleicht auf Ihre Anregung, benutzt hat; ja es scheint, da er eine Lehrstelle in Bern bekleidet, daß die Genfer Naturfreunde erst durch ihn aufmerksam geworden seyen.

Ihnen ist so manches gegenwärtig, was ich mühsam zusammen zu suchen nicht einmal Zeit und Gelegenheit habe. Geben Sie mir von allen Dingen die Versicherung Ihrer Theilnahme und lassen uns in diesem Falle wieder einmal recht gesellig seyn. In so hohen Jahren gibt mir nichts ein so reines befriedigendes Gefühl von Dauer als die Consequenz der Natur und die Beharrlichkeit derer, die sich treu und liebevoll mit ihr beschäftigen.

Der große Verlust, den ich durch den Abschied meines Herrn und Freundes erlitten, veranlaßt mich, aufmerksam umherzuschauen, wo noch Wohlwollende und thätig Theilnehmende in der weiten Welt zu finden seyen. In Hoffnung des Ferneren.

Treulichst strebend und liebend

Weimar d. 30. März 1829.

J. W. v. Goethe.


[224] Wollten Sie nun, theuerster Mann, bey diesem Anlaß von Sich, Ihren Studien und Zuständen das Nähere mittheilen, so würden Sie mich in jedem Sinne wieder neu beleben und aufregen.


Anfrage.

Haben Sie Notiz genommen von einer Pflanze, die uns einige Zeit her beschäftigt? Graf Sternberg hat sie unter dem Namen Anthericum comosum, beschrieben und abgebildet in der Monatsschrift der Gesellschaft des vaterländischen Museums in Böhmen, welche Hefte wohl aber schwerlich zu Ihnen gelangen, eingeführt und näher bekannt gemacht. Die Luftstolonen, die sie treibt, sind höchst merkwürdig. Sie verträgt alles, nur nicht Frost; in feuchten Gewächshäusern, an dunkeln Stellen treiben diese Stolonen, wie ich sie nenne, fingerlange rübenartige Wurzeln; ich kann, auf Verlangen, das Nähere und Nächste, ja eine Pflanze selbst schicken, sie läßt sich auf jede Weise leicht transportiren.

wie oben u. immer

G.


Chronologisch aufgeführte Namen der Naturforscher,

welche sich für die Metamorphose der Pflanzen

interessirt:

1803. Voigt, Handwörterbuch der botanischen Kunstsprache.
1808. Voigt, System der Botanik.
[225] 1810. Voigt, Analyse der Frucht und des Samenkornes von C. L. Richard, übersetzt etc.
1814. G. F. Jäger, Über Mißbildung der Gewächse.
1815. D. G. Kieser, Elemente der Phytonomie.
1817. Voigt, Grundsätze einer Naturgeschichte, als Geschichte der Natur etc.
1818. Sprengel, Geschichte der Botanik.
1818. G. C. Nees von Esenbeck, in der Zeitschrift Isis.
1821. Autenrieth, Disquisitio de discrimine sexuali etc.
1821. Runge, Materialien zur Phytologie.
1822. H. G. Bronn, Deformis plantarum leguminosarum.
1823. C. H. Schulz, Die Natur der lebendigen Pflanze.
– – – – Friedlaender, De Institutione in medicinam.
1825. Voigt, Wörterbuch der botanischen Kunstsprache, 2. Ausgabe.
– – – – Link, Elementa philosophiae botanicae.
– – – – Botanische Zeitung.
1827. Voigt, Lehrbuch der Botanik, 2. Ausgabe.
– – – – De Candolle, Organographie végétale.

Diese leere Seite läßt noch eine Frage zu: Ist Ihnen das erste Stück des sechsten Bandes von Kunst und Alterthum zu Gesicht gekommen? So werden Sie Ihr freundliches blumenhaftes Gedicht dankbar [226] darinnen gefunden haben; wäre dieß nicht, so würde mit der nächsten Sendung auch gedachtes Heft zu geneigter Aufnahme senden und empfehlen.

Verzeihung diesem Stückwerke, welches aber doch aus Geist und Herzen, als einem zuverlässigen Ganzen, hervortritt.

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