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An die Herzogin von Rauzan

[Concept.]

[6. Mai 1827.]

Gnädige Herzogin!

Durch Vermittelung meines vieljährigen edlen Freundes, des Herrn Alexander v. Humboldt, wird mir die Gewißheit daß auch in dem höchst bewegten [171] Paris meiner, eines hochbejahrten Einsiedlers, mit Neigung freundlich gedacht werde.

Gewiß, wir sollten die Beschränktheit, die Verirrungen, die Mängel und Fehler unserer Jugend im Alter segnen, weil die Darstellung derselben uns Gönner und Freunde zu erwerben geeignet ist, in einer Lebensepoche wo mir auf jeden neuen Erwerb Verzicht zu thun alle Ursache haben.

Doch wo sollten sich gute und schöne Seelen eher begegnen als in Betrachtung des Widerstreits, in den sich der freygeborne Geist, das nach allen Seiten hin ahnende Herz mit einer beschränkenden Umgebung, mit einer von allen Seiten andrängenden Gegenwirkung gesetzt findet.

Das liebe, schon längst, und nun durch das zierlichste Äußere und eine kunstreiche Abbildung mir doppelt und dreyfach werthe Büchlein Ourika ist nun in jenem Sinne höchst bedeutend: denn hier steht nicht etwa ein menschliches Innere mit einem herkömmlichen oder auf sonst eine Weise willkührlich verschränkten Äußern im Conflict, vielmehr strebt eine Natur gegen die andere. Der Gegensatz, den der Schöpfer selbst gewollt hat, strebt sich zu einigen, sich auszugleichen und ein liebendes, Liebe verdienendes Wesen geht darüber zu Grunde. Was auch die höheren Elemente einer gebildetern Welt hier noch steigernd hinzuthun ist von geringem Belange, das eigentliche Grundübel hätte müssen auch in den einfachsten Naturzuständen verderblich werden.

[172] Aufgemuntert durch meinen Freund schreib ich dieses an die geneigt vermittelnde Tochter der verehrten Frau, deren edlem, fein und tief fühlendem Geiste ich ein wohlverdientes körperliches Behagen herzlich wünschte, deren schweres, ja gefährliches Übel ich jedoch kummervoll mit empfinde und deshalb mich kaum der guten mir noch so spät gegönnten Tage gründlich erfreuen darf.

Empfehlen Sie mich der würdigen Frau auf's angelegenste und danken ihr für das schöne Zeugniß ihres Andenkens, mit der Versicherung daß ich ihre so geist- und geschmackreichen als bis in's Einzelne tief empfundenen Werke mir zu den schönsten Blumen und Blüthen rechne, welche der allgemeine Lebensgarten so anmuthig umher erzeugen mag. Bewahren auch Sie mir ein freundliches Wohlwollen und bleiben überzeugt, daß in jenen mütterlichen Gaben auch das Gedächtniß einer geneigten Tochter sich, so lang ich lebe, frisch in mir erhalten wird.

Weimar den 30. April 1827.

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