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An Carl Friedrich Zelter

Haben Sie, mein verehrter Freund, tausend Dank, daß Sie das peinliche Stillschweigen endlich brechen mochten. Seit dem 14. October bin ich täglich in Gedanken bey Ihnen gewesen, und noch eben, wie dieses geschrieben wird, steht ein zugesiegelter Brief an Sie auf meinem Schreibpult, den ich fortzuschicken nicht den Muth hatte: denn was soll man sich einander sagen? Um 12. December habe ich Ihren Geburtstag im Stillen gefeyert; und so werden wir wohl auch künftig nur das stille Gute im Stillen feyern können.

Durch die bösen Tage bin ich wenigstens ohne großen Schaden durchgekommen. Es war nicht Noth, mich der öffentlichen Angelegenheiten anzunehmen, indem sie durch treffliche Männer genugsam besorgt wurden; und so konnt' ich in meiner Klause verharren, und mein innerstes bedenken.

[253] In den schlimmsten Stunden, wo wir um alles besorgt seyn mußten, war mir die Furcht, meine Papiere zu verlieren, die peinlichste, und von der Zeit an schick' ich zum Drucke fort, was nur gehn will. Die Farbenlehre schreitet stark vor. Auch werden meine Ideen und Grillen über die organische Natur nach und nach redigirt und so will ich von meinem geistigen Daseyn zu retten suchen, was ich kann, da Niemand mehr weiß, wie es mit dem Übrigen werden wird.

Von meinen Werken bey Cotta sind Aushängebogen da. Einige Lieder des ersten Bandes sollen, hoff' ich, bey Ihnen Melodieen hervorrufen, damit wir fühlen und sehen, daß wir noch die Alten sind. Daß Sie Ihre Musikschätze unversehrt fanden, dazu wünsche ich Glück. Daß sie in die Administration mit verwebt sind, wie manches andre, was mir Herr Schmidt erzählt, bedaure ich. Doch ist es freylich in der jetzigen Zeit unserer Wahl nicht anheim gestellt, auf welche weise wir thätig seyn wollen. Der gute Geist wird Sie nie verlassen; möge der gute Muth auch nie von Ihnen weichen! Lassen Sie manchmal etwas von sich hören; ich will das gleiche thun. Ein herzliches Lebewohl.

Weimar den 26. December 1806.

Goethe. [254]

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