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An Carl Friedrich von Reinhard
Carlsbad den 22. Juni 1808.
Nachdem wir gestern den längsten Tag gefeyert haben, so will ich auf der andern Seite des Jahres nicht hinabsteigen, ohne Ihnen, verehrter Freund, für zwey Briefe zu danken, deren ersten ich noch in Weimar, den zweyten aber hier erhielt. Jenen hatte Herr Schlegel in Frankfurt auf die Post gegeben und begrüßte mich nachher auf seiner Durchreise in Weimar persönlich.
Die Recension meiner vier ersten Bände hatte ich kurz vorher gelesen, das erste was mir seit langer Zeit von ihm zu Gesicht gekommen war. Sie hatte mir viel Vergnügen gemacht: denn ob ich gleich selbst am besten wissen muß, wo in meinem Stall die Zäume hängen, so ist es doch immer sehr interessant [91] sich mit einem verständigen und einsichtsvollen Manne über sich selbst zu unterhalten, und ein scharfsichtiger Fremder, der in ein Haus tritt, bemerkt oft gleich, was der Hausherr aus Nachsicht, Gewohnheit oder Gutmüthigkeit übersieht oder ignorirt.
Allein, da ich nachher eine Recension von Müllers Vorlesungen durchgelesen, Schlegeln selbst gesprochen und sein Büchlein über Sprache und Geist der Indier näher angesehen; so ist meine Zufriedenheit einigermaßen gemindert worden, weil doch aus allem gar zu deutlich hervorgeht, daß die sämmtlichen Gegenstände, die er behandelt, eigentlich nur als Vehikel gebraucht werden, um gewisse Gesinnungen nach und nach ins Publicum zu bringen und sich mit einem gewissen ehrenvollen Schein als Apostel einer veralteten Lehre darzustellen.
Ich begriff nun erst die Recension meiner Arbeiten und sah wohl ein, warum manches so übermäßig ins Licht gehoben, anderes in den Schatten zurückgedrängt war; die Absichtlichkeit von jeder Zeile wurde klar, meine Einsicht aber ward vollkommen, als ich S. 97 des indischen Büchleins den leidigen Teufel und seine Großmutter mit allem ewigen Gestanksgefolge auf eine sehr geschickte Weise wieder in den Kreis der guten Gesellschaft hereingeschwärzt sah. Ich werde nun eine Zeitlang, was ich von ihm habhaft werden kann, mit Aufmerksamkeit lesen, um zu sehen, wie ein Mann dieser Art nach und nach immer[92] derber auftritt, ja was sag' ich nach und nach! – er hat alles schon so vorbereitet, daß er nächstens in seinem Apostolat vor der Welt, die ohnehin niemals weiß, was sie sieht und was sie will, ganz ungescheut auftreten darf. Man schreibt mir von Wien, daß er dahin kommen werde. Ich wünsche, daß er dort einigen zeit lichen Vortheil finden möge. Übrigens ist in den österreichischen Staaten jetzt ein Proselyt wenig geachtet. Die Verstandesgährung, welche Joseph der Zweyte hervorgebracht, wirkt noch immer im Stillen fort. Sich dem Protestantismus zu nähern ist die Tendenz aller derer, die sich vom Pöbel unterscheiden wollen; ja ich habe bemerkt, daß wenn man sich auf die protestantisch poetische Weise über die katholische Religion und Mythologie ausdrücken will, man sich lächerlich, ja in gewissem Sinne verhaßt machen kann. Und so giebt es denn, wie bey großen Festen, ein Gedräng an der Kirchtüre, wo die einen hinein und die andern hinaus wollen.
Durchaus ist aber diese Schlegelsche Conversion sehr der Mühe werth, daß man ihr Schritt vor Schritt folge, sowohl weil sie ein Zeichen der Zeit ist, als auch weil vielleicht in keiner Zeit ein so merkwürdiger Fall eintrat, daß im höchsten Lichte der Vernunft, des Verstandes, der Weltübersicht ein Vorzügliches und höchstausgebildetes Talent verleitet wird sich zu verhüllen, den Popanz zu spielen, oder wenn Sie ein ander Gleichnis wollen, so viel wie [93] möglich durch Läden und Vorhänge das Licht aus dem Gemeindehause auszuschließen, einen recht dunklen Raum hervorzubringen, um nachher durch das foramen minimum so viel Licht, als zum hocus pocus nöthig ist, hereinzulassen.
Da man über seine Absichten und seine Schleichwege nun schon deutlicher ist, so bin ich wirklich neugierig, wie er sich gebärdet, wenn er meine folgenden acht Bände recensiren sollte, und inwiefern er abermals Gelegenheit nehmen wird, die ästhetische Cultur, den Polytheismus und Pantheismus verdächtig zu machen.
Da ich von meinen letzten acht Bände rede, so füge ich hinzu, daß ich diesen auch eine gute Aufnahme in Falkenlust wünsche. Ich fürchte, dieser Brief kommt eher an als das Paket, indem ich es habe durch eine Unbehülflichkeit von Tübingen über Weimar gehen lassen.
Da Ihnen der Wiener Prometheus in die Hände kommt, so darf ich Ihnen wohl meine Pandora nicht empfehlen. Sie ist mir eine liebe Tochter, die ich wunderlich auszustatten gedrungen bin.
Bey dem schönsten Wetter, das uns nach einer langen Pause hier wieder zu besuchen scheint, gedenke ich der schönen Gegend, in der Sie sich jetzt befinden, und freue mich Ihrer Zufriedenheit, deren Sie in Ihrem ländlichen Aufenthalte genießen. Wenn Sie eine neue Aufforderung zur Thätigkeit ablehnen [94] konnten, so wird Ihnen die Abgeschiedenheit von der Welt gewiß auch ganz gemäß seyn. Wenn Sie dann im Stillen die letzten zwanzig Jahre der deutschen Literatur nachholen, wie Ihnen erst jetzt Herders Ideen zu Hand ge kommen sind; so werden Sie den merkwürdigen Gang, den diese große Masse genommen hat, klarer einsehn, als diejenigen, die selbst mitwirkten. Lassen Sie mich ja von Zeit zu Zeit Ihre Gedanken erfahren: denn man hat immer mehr Ursache sich mit und an denen zu befestigen, die aus einer Bildung und Sinnesepoche mit uns übrig geblieben sind. Ihre Confession oder Digression vom 7. März ist mir auferbaulich, so oft ich sie wieder lese; und so fahren Sie fort, mich manchmal von sich hören zu lassen.
Was mich betrifft, so treib' ich mein Wesen vor wie nach, nur will der Fleiß bey mir keine rechte Folge haben; auch würde ich vielleicht, wenn nicht einige angefangene Sachen mich drängten und äußre Veranlassungen mich in Bewegung setzten, bald gar nichts mehr thun. Vielleicht gönnt mir der Himmel in den nächsten Jahren diesen wünschenswerthen Zustand.
Viel besser befinde ich mich, als die nächst vergangene Zeit.
Daß die Stanzen der Zuneigung meines Faust vorläufig gut gewirkt, ist mir sehr angenehm zu hören; doch muß ich zur Steuer der Wahrheit und zu Ehre meines, wenn ich nicht irre, ziemlich verkannten [95] Inneren, versichern, daß die Strophen schon sehr alt sind und ihre Entstehung keineswegs den Tribulationen der Zeit verdanken, mit denen ich mich auf eine lustigere Weise abzufinden pflege. Soviel habe ich über haupt bey meinem Lebensgange bemerken können, daß das Publicum nicht immer weiß wie es mit den Gedichten, sehr selten aber, wie es mit dem Dichter dran ist. Ja ich läugne nicht, daß, weil ich dieses sehr früh gewahr wurde, es mir von jeher Spaß gemacht hat, Versteckens zu spielen.
Seit gestern habe ich das Schlegelsche indische Werk wieder angesehen, und finde darin völlig dasselbige Benehmen, das Sie von seinem Umgange bemerken. Er verbirgt seine Gesinnungen nicht, ja er läßt sie nicht einmal errathen, sondern er spricht sie ganz deutlich aus; doch weiß er sie rhetorisch gewandt mit allgemeineren historischen, kritischen Ansichten und Überzeugungen zusammenzuflechten, daß man recht aufpassen muß, um genau zu unterscheiden, wo man mit ihm einig seyn kann, oder wo man ihn muß fahren lassen. Eben habe ich erst heute S. 201 die alleinseligmachende katholische Kirche entdeckt. Vielleicht schicke ich Ihnen nächstens die Confession dieses neuen Augustinus im Auszuge.
G. [96]