22/6195.
An Luise Seidler
Schon lange zaudre ich, Ihnen, liebe sanfte Freundinn, für Ihre liebliche Sendung Danck zu sagen, denn mit der Feder läßt sich das nicht so thun; ich hoffe Sie bald wieder zu sehen und Sie recht lebhaft zu versichern, daß Sie mir durch den Brief und Bild recht viele Freude gemacht haben. Das Bildniß hat unsres einsichtigen Meyers Lob und sodann auf der Ausstellung vielen Beyfall erhalten. Unsrer verehrten Herzoginn war der tiefe Blick und die treue Künstlermelancholie merckwürdig, die über das ganze Gesicht verbreitet ist. Der Charackter und die natürliche bräunliche-blasse Farbe ist Ihnen sehr glücklich gelungen. Soviel für diesmal, da ich hoffen kann, sie bald wieder zu sehen. Hatte ich nicht das Vergnügen, Sie in Dresden zu besuchen, so sollen Sie mir desto [167] mehr erzählen von Sich, von den Freunden und von dem guten Minchen, von der ich so lange nichts gehört und deren bevorstehende Wiedervereinigung mich angenehm überrascht. Sind Ihnen alle Arbeiten so wohl gelungen als das Mengsische Portrait, so bringen Sie Sich und Ihren Freunden wahre Schätze mit. Daß Sie uns auch Ihre guten Gesinnungen wieder zurückbringen, daran wollen wir nicht zweifeln und Ihnen zum Voraus zu einer glücklichen Rückreise Glück wünschen. Dresden muß auch dießmal einen herrlichen Herbst dargeboten haben. Ich will nicht umwenden, und noch auf diesem Blat Grus und Danck auf's beste wiederhohlen.
Weimar, d. 25. Septbr. 1811.
Goethe.