32/111.
An Sulpiz Boisserée
Ihren liebwerthen Brief, mein Bester, will ich nicht lange zu beantworten zaudern; denn er eröffnet mir eine fröhliche Aussicht auf das laufende Jahr, obgleich nicht so frey als ich wohl wünschte.
Nach meinem Bedünken wäre die Theilnahme meiner lieben Vaterstadt und das übrigen guten Deutschlands an meinem Geburtstage wohl hinreichend gewesen, den Verdiensten zu begnügen und beide bescheidende Betrachtung der Resultate seines Lebens zu erleichtern. Gedenkt man aber, wie Sie mir vermelden, noch weiter zu gehen; so ist es räthlich, mit bescheidender Sorgfalt, damit Nemesis nicht aufgerufen werde, dabey zu verfahren.
[142] Mein alter und meine Gesundheit leiden keine Wagestücke mehr; wenn man ja noch leben soll, so gilt es Herkommen und Gewohnheit. Carlsbad hat sich das vorige Jahr abermals dergestalt günstig erwiesen daß ich, in mehr als einer Rücksicht, entschlossen bin, im ersten Frühjahr wieder hinzugehen.
So werth und lieb uns nun aber auch die Gegenwart Herrn Danneckers seyn würde, wenn er sich entschließen könnte uns zu besuchen, so ist doch auch diese Zumuthung bey einer so weiten Entfernung, wie mir scheinen will, etwas stark. Damit ich aber von meiner Seite einer so wohlgemeynten und ehrenvollen Unternehmung gern entgegen komme, so will ich mich den Monat April in Weimar halten; Herr Professor Dannecker soll mir und den Meinigen willkommen seyn, einige Zimmer zu seiner Wohnung und eine anstoßende Werkstatt bereit finden; da wir denn nichts mehr wünschen als daß ihm der Aufenthalt in jedem Sinne möge gefällig und erfreulich seyn.
Zu Ende April geh ich nach Carlsbad, weil ich den ruhigen May dort abzuwarten und Anfangs Juny wieder hier zu seyn gedenke, obgleich dieses letztere keine so genaue Bestimmung erleidet. Und so leg ich auch das alles in Ihre werthen Hände und übergehe gar manche in solchen Fällen sich aufdringende Betrachtungen.
Das neuste Heft unserer Zeitschrift war schon abgeschlossen und ich konnte nur noch auf den Umschlag [143] das Blättchen, das ich Ihnen zusandte, abdrucken lassen. Da nun eine deutsche Übersetzung in Ihren Händen ist und jede Untersuchung deshalb Ihnen näher liegt als mir, so überlaß ich Ihnen gern alles was sich darauf beziehen und daraus entwickeln kann. Sie werden aus der Übersetzung geschwinder als ich aus der abbrevierten Originalschrift einsehen was zu brauchen ist, und finden wahrscheinlich in Ihrer Nähe jemanden der einen lesbaren Auszug macht; denn manches Lästige findet sich doch hie und da im Ganzen. Indessen bin ich überzeugt, es kann sich aus allem Diesem etwas Angenehmes entwickeln.
Für das Kunstblatt wird sich wohl manches finden. Da unsere Hefte langsam gehen, so ist es gewiß angenehm, in der Zwischenzeit irgend etwas schnell in's Publicum zu bringen. Dadurch, daß Name und Chiffern gelten sollen, setzt sich der Redacteur außer aller Verantwortung und hat den Vortheil, nach Bleiben Gegenschriften drucken zu lassen. Möge das alles der Kunst und den Unternehmern zum Besten gereichen.
Da ich noch Platz vor mir sehe, so wend ich mich denn doch zu jenen Betrachtungen die ich oben liegen ließ. Sollte es nicht etwas bedenklich seyn, meine Freunde, einen Bildhauer dahin zu senden, wo er keine Formen mehr findet? wo die Natur auf ihrem Rückzuge sich nun mit dem Nothwendigen begnügt, was zum Daseyn allenfalls unentbehrlich seyn möchte; [144] wie kann dem Marmor ein Vorbild günstig seyn, aus dem die Fülle des Lebens verschwunden ist? Schon Jahre sind es, daß wir uns nicht gesehen haben, ich wünsche, daß unser werther Künstler sich nach einer langen Wallfahrt nicht allzu sehr getäuscht fühle.
Hiernach aber sey feyerlich protestirt, daß ich nichts gesagt haben will was jenes so wohlgemeynte und mir höchst ehrenvolle Unternehmen auch nur im mindesten aufhalten und hindern könne. Das zuerst Gesagte blieb in voller Kraft. So wie ein treues Freundesbündniß.
Weimar d. 14. Jan. 1820.
Goethe.