393. Der Rechtspruch zu Greifswald.

(S. Kantzow, Pomerania Th. II. S. 74 etc.)


Im Jahre 1451 hat sich zu Greifswald eine wunderbare Begebenheit ereignet. Es lebte dort ein Fleischhauer, der hatte zwei Knaben, der eine war drei, der andere vier Jahre alt. Diese hatten oft gesehen, wie ihr Vater das Vieh schlachtete und da haben sie auch mit einander Schlachtens gespielt. Der Große hat zu dem Kleinen gesagt, er solle sich hinsetzen, er wolle den Ochsen schlachten, und der Kleine hat sich hingesetzt und der Große hat ihn mit der Hand umgestoßen. Einmal haben sie aber auch Ochsenschlachtens gespielt und es ist Niemand dabei gewesen, da hat der Große gesagt: »Ei das pufft aber nicht«, und weil ein Beil dagelegen, da hat er dasselbe genommen und mit den Worten: »Brüderchen jetzt soll es puffen!« dem Kleinen vor den Kopf geschlagen und der ist umgefallen und war todt. Da sind die Eltern außer sich gewesen vor Jammer und Herzeleid, der Rath aber hat beschlossen, den Knaben hinrichten zu lassen, nach dem Gebote, daß wer Menschenblut vergieße, dessen Blut solle wieder vergossen werden. Aber die Eltern haben dem Rathe vorgestellt, wie daß sie schon unglücklich genug wären, daß sie ein Kind durch den Unverstand seines Bruders eingebüßt, es sei doch zu hart, wenn sie auch noch das andere verlieren sollten. Da beschloß denn der Rath zu erproben, ob denn das Kind überhaupt gewußt, was es gethan. Sie hießen also dem Knaben sich hinzusetzen, sie wollten ihn als Ochsen schlachten, so wie er seinem Bruder gethan. Das Kind aber setzte sich sogleich hin, weil es sich nichts Böses vermuthete, und da haben sie es freigesprochen und am Leben gelassen 1.

Fußnoten

1 Eine ähnliche Geschichte theilt Pröhle, deutsche Sagen S. 122 etc. aus Franecker mit.

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