161. Der gespenstige Schuster zu Breslau.

(S. Schlesisches histor. Labyrinth S. 351 etc.)


Im Jahre 1591 am 20. September an einem Freitage früh schnitt sich ein wohlhabender Schuster in der Stadt Breslau in seinem hinter dem Hause gelegenen Garten die Kehle ab, aus welchem Grunde, wußte man nicht. Er hatte mit dem Kneife die Halsadern abgekerbt und mußte an der Wunde sterben. Als sein Weib solches gesehen und ihren Schwestern erzählte, wurden sie alle über diesen plötzlichen Unglücksfall auf's Höchste bestürzt, suchten aber denselben, welchen sie für eine große Schande hielten, auf jede Weise zu verheimlichen. Sie sprach also zu Allen, so sie um ihres [176] Mannes Tod fragten, es habe ihn der Schlag gerührt; sie ließ auch die Thüre verriegeln, damit Niemand sehen könne, was geschehen war. Wenn aber ihre Nachbarn und Bekannten kamen, um mit ihr zu sprechen und sie zu trösten, da ließen es die Schwestern der Wittwe nicht zu und sagten, sie erkenne ihre Liebe und Wohlwollen recht wohl, allein der Todte brauche ihre Dienste nicht und die Wittwe wolle in der ersten Bestürzung Niemanden vor sich lassen, sie möchten also, wenn sie wollten, in einiger Zeit wiederkommen. Sie schickten nun zu den Kirchvätern und bestellten bei ihnen das Begräbniß, die Grabstätte und das Geläute, was sie auch ohne Hinderniß erlangten, da der Gestorbene für einen reichen Mann gegolten hatte. Damit aber Alles geheim bliebe und Niemand etwas von dem Morde erführe, dungen sie ein altes Weib, die den verbluteten Körper rein waschen und die Wunde so fest verbinden mußte, daß man nichts davon sehen konnte. Als sie das gethan, legten sie ihn mit einander in den Sarg. Die Wittwe selbst, als eine Sechswöchnerin, die vor zehn Tagen erst in's Kindbett gekommen war, ließ den Geistlichen zu sich kommen, damit er ihr in diesem schweren Falle Trost zusprechen möchte. Dieser kam auch und tröstete die Wittwe; als er sich aber entfernen wollte, baten die Schwestern der Wittwe denselben, der von der Sache nichts wußte, er möge doch einmal den Leichnam betrachten. Das that er auch, hatte aber keinen Gedanken daran, daß etwas dahinter stecke. Denn der Leichnam war so schön mit Leinwand auf allen Seiten umhüllt, daß auch Einer, der wohl Acht darauf hatte, nichts gemerkt haben würde, und sie hatten ihn so hoch gelegt, daß die gefalteten und verdrehten Tücher keinen Argwohn erregen konnten. Den dritten Tag darauf, es war an einem Sonntage, ist er mit großem Gepränge nach Art der Frommen und Vornehmen zur Erde bestattet worden; es ward ihm auch eine solche Abdankung und Leichenrede gehalten, als hätte er ein heiliges und unschuldiges Leben geführt und wäre ein vortrefflicher Christ gewesen.

Ob nun wohl die Verwandten des Verstorbenen meinten, der Mord werde zugedeckt bleiben, weil sie Alles so vorsichtig verrichtet, ist doch gleichwohl ein Gerede unter die Leute gekommen, als hätte sich der Mann selbst ermordet und sei nicht vom Schlage getroffen worden. Anfangs hat man es nicht glauben wollen, allein nichtsdestoweniger ist das Gerede immer stärker geworden, so daß der Rath sich genöthigt sah, Alle, die bei dem Todten gewesen waren, genau zu befragen und sie aufzufordern, der Wahrheit gemäß zu gestehen, was sie gesehen oder gehört und was einem Jeden von ihnen bewußt sei. Ob nun wohl alle diese Personen sich auszureden suchten, auch nicht bei einerlei Antwort blieben, so konnte man doch bald sehen, daß nicht Alles richtig sei; deshalb gestanden sie schließlich ein, er sei gefallen und habe sich an einem spitzigen Stein geschlagen und dabei verwundet. Sie erzählten auch, es hätte sich eine Ahle in seinem Kleide gefunden, man habe dieselbe aber weggeschafft, daß sie nimmermehr Jemand hätte Schaden thun können. Der Rath hielt nun, weil sich die Indicien immer mehr mehrten, Berathschlagung, was zu thun sei. Dies blieb aber eben so wenig verschwiegen, und einige Freunde der Wittwe beredeten selbige, sie solle bei Leibe nicht zugeben, daß der Körper ihres Mannes ausgegraben oder an einen unehrlichen Ort gelegt oder für einen Zauberer oder Selbstmörder [177] gehalten werde, wo man nicht kräftigere Beweise aufzubringen vermöge. Unterdessen erschien hin und wieder ein Gespenst, ganz so gestaltet, wie der Schuster während seines Lebens gewesen war, und zwar sowohl bei Tage als des Nachts. Es erschreckte Viele durch die bloße Gestalt, Viele weckte es mit Poltern auf, Viele drückte es, Andere vexirte es auf andere Art, so daß man früh Morgens überall von dem Gespenste reden hörte. Je mehr nun aber das Gespenst erschien, desto weniger wollten die Verwandten feiern; sie gingen zu dem Präsidenten des Gerichtes und sagten, man glaube den unbegründeten Reden der Leute zu viel, der ehrliche Mann werde in der Grube beschimpft, und sie sähen sich genöthigt, den Prozeß an den Kaiser zu bringen. Als nun die Sache wirklich ein Verbot nach sich zog, da ward das Unwesen immer ärger. Denn gleich nach Sonnenuntergang war das Gespenst da, und weil Niemand davon frei war, sah sich ein Jeder alle Augenblicke nach demselben um. Am meisten wurden die geplagt, welche nach schwerer Arbeit ausruhen wollten; manchmal trat es an ihr Bett, bald legte es sich gar mit hinein und wollte die Leute ersticken, ja es drückte sie so heftig, daß man nicht ohne Verwunderung die Flecken sah, welche von den Fingern desselben gemacht waren, daher man leicht den Schlag beurtheilen konnte. Auf solche Art wurden die an sich schon furchtsamen Leute noch furchtsamer gemacht, also daß sie in ihren Häusern nicht weiter blieben, sondern sicherere Oerter suchen wollten. Die meisten, die in der Schlafkammer nicht sicher waren, blieben in den Zimmern, nachdem sie viele Andere mit hierhin genommen, damit durch die Menge die Furcht vertrieben werde. Allein obschon Alle bei brennenden Lichtern wachten, kam doch das Gespenst, welches manchmal Alle, manchmal aber nur Etliche sahen, von denen es auch allemal Einige quälte.

Indem nun das Geschrei von Tage zu Tage ärger ward und die ganze Stadt das Wesen bestätigte, beschloß der Rath etwas zu versuchen, damit das Gespenst wegbliebe. Der Leichnam hatte nun in den achten Monat im Grabe gelegen, vom 22. September 1591 bis 18. April 1592, als auf hohen Befehl das Grab geöffnet ward. Solchem wohnte der ganze Rath, die Schöppen und andere Bedienteste bei. In dem geöffneten Grabe fand man den Körper ganz und von der Fäule unversehrt, aber wie eine Trommel aufgeblasen, nur daß nichts verändert war und die Glieder noch alle beisammen hingen. Sie waren, welches zu verwundern, nicht wie bei andern Todten erstarrt, sondern man konnte sie gut bewegen. Auf den Füßen hatte sich die Haut abgeschält und es war eine andere gewachsen, viel reiner und stärker als die vorige war, und da fast alle Zauberer an einem verborgenen Orte, daß man es nicht leicht merkt, gezeichnet sind, so hatte dieser an der großen Zehe ein Maal wie eine Rose. Die Deutung davon wußte Niemand. Es war auch kein Gestank zu bemerken, nur die Tücher, in die er gehüllt war, rochen widrig; die Wunde in der Kehle gähnte auf und war röthlich und auch nicht im Mindesten verändert. 1 Der [178] Körper ward vom 8. bis 24. April auf der Bahre Tag und Nacht bewacht, nur des Tages über setzte man ihn an die Luft, des Abends aber stellte man ihn in ein Haus daselbst. Jedermann konnte ihn ganz nahe besehen, und es gingen alle Tage viele Bürger und Viele aus den benachbarten Orten dorthin. Dennoch half das Ausgraben nichts, das Gespenst, so man damit vertreiben wollte, machte noch viel mehr Unruhe. Der Körper wurde unter den Galgen gelegt, allein auch dies half nichts, weil das Gespenst dann so grausam wüthete, daß man es nicht beschreiben kann.

Da nun aber das Gespenst so ganz abscheulich rasete und sowohl vielen Bürgern als seinen guten Freunden selbst große Ungelegenheit machte, so ging die Wittwe zu dem Rath und erklärte, sie wolle Alles zugeben, man möge mit ihrem gewesenen Manne nach aller Schärfe verfahren. Es war aber in der kurzen Zeit vom 24. April bis 7. Mai der Körper viel völliger von Fleisch geworden, was ein Jeder sah, der sich erinnerte, wie er vorher ausgesehen hatte. Hierauf ließ der Rath den Körper am 7ten durch den Henker aus dem andern Grabe nehmen, dann wurde ihm der Kopf abgestoßen, die Hände und Füße zergliedert, hernach der Rücken aufgeschnitten und das Herz herausgenommen, welches so schön aussah, wie von einem frisch geschlachteten Kalbe. Alles zusammen wurde auf einen Scheiterhaufen, der von sieben Klaftern Holz aufgebaut und mit vielen Pechkränzen belegt war, verbrannt. Damit aber Niemand die Asche oder die Gebeine aufsammeln und zur Hexerei aufheben könne, wie sonst zu geschehen pflegt, so durften die Wächter Niemanden nahe hinzulassen. Früh Morgens, als der Holzstoß verbrannt war, wurde die Asche zusammen in einem Sacke in das fließende Wasser geworfen, worauf denn durch Gottes Hülfe das Gespenst weggeblieben ist und nicht mehr gesehen ward.

Fußnoten

1 Man hat ihn jedenfalls für einen Vampyr gehalten, denn die Beschreibung, welche in dem schles. Labyrinth S. 330 etc. von den serbischen Vampyren nachdu Fresne, Gloss. med. et infer. Graec. unter d. Artik. Βουλκολακα und Τυμπανιται geliefert ist, scheint darauf hinzudeuten.

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