604. An Adolf Nöldeke
604. An Adolf Nöldeke
Wiedensahl Montag 5. Mai 1884.
Lieber Adolf!
Deinen Brief nebst Photographien dankend erhalten. Muß sehr hübsch und gemüthlich da liegen, dies Tübingen. – Mutter ist ganz heiter von Hannover zurück gekehrt. Die Angelegenheit war doch nicht so gar ungemüthlich, als ich anfangs dachte, und hätt ich gleich genauer zugesehn, dann wäre mir noch obendrein klar geworden, daß ein vierter Substitut zunächst eigentlich fast gar keine Aussicht hat, seine Füße unter den bewilligten Tisch zu setzen. Lurup No 4 muß eben warten, bis 1, 2 und 3 aufstehen, oder irgendwie verhindert sind, überhaupt Platz zu nehmen. So wird denn wohl jetzt No 5 der Mund wäßern, wenn er erfährt, daß sein Vordermann bei Seite getreten ist. Das Weitere in der Sache wollen wir geduldig abwarten. – Hermann hat nun auch die officielle Nachricht von seiner Ernennung für Loccum erhalten.
Etwas Besonders hat sich hier zu Lande nicht ereignet, außer, daß seit acht Tagen ein Puppentheater im Hôtel Ronnenberg bei den Wiedensahler Kunstverständigen vielen Beifall und gedrängten Zuspruch findet. Die zwei Ellen hohen Kunstfiguren haben grade ihrer gepriesenen Größe [250] wegen wenig Verlockendes für mich; es scheint die Geschichte überhaupt zu schön zu sein; doch gedenk ich Genoveva oder Don Juan oder Faust mal anzusehn.
Für Sonnabend Abend hat sich Amalie Meyer aus Bruchhausen angemeldet; sie will dann Hölschers einen Tag besuchen und darauf bei Bunnemann's in Stoltzenau Gevatter stehn. – Auch Otto will Sonnabend kommen; es scheint ja in Bückeburg Allen gut zu gehn. – Fräulein Husemann ist seit vorgestern in Hannover, um sich allerlei Sommerbekleidung zu erstehn, und wird morgen zurück erwartet.
Hier weht's und regnet's und schloßt's (letzteres aber in harmloser Weise –); den Landleuten ein erwünschtes Wetter. Die alten schwarzen verfrorenen Blätter im Bosket gehen auch damit weg.
Herzl. Grüße von Mutter und Deinem getr. Onkel
Wilhelm.