1013. An Johanna Keßler

1013. An Johanna Keßler


Es flog ein munteres Staarenpaar
Schon manches Jahr
Auf eine Pappel hoch und schön,
Um von da aus die Gegend sich anzusehn.
Fest sind die Dächer,
Kein Baum hat Löcher.
Mußten daher, in Ermanglung von Höhlen,
Sich wieder empfeh[l]en;
Denn keine Wohnung war zu finden,
Einen Haushalt darin zu gründen. –
Doch heuer kam, gewandt und heiter,
Ein schmucker Herr, ein dienstbereiter,
Mit einer Leiter,
Mit einem Kästchen,
Thät dieses hochoben am Baum befest'gen,
Und stieg dann wieder
Zur Erde hernieder,
Indem er sich freut, daß er aus solcher Gefahr
Für diesmal glücklich entronnen war. –
Inzwischen sahn in bedachtsamer Ruh
Die beiden Staare von weitem zu.
"Frau – sprach das Männchen – laß uns doch eben
Zu dem hübschen Häuschen hinüber schweben,
Ob's Thürlein dran, was das Wichtigste ist,
Auch mindestens 5 Centimeter mißt;
Sonst würd es besonders für Dich zu klein,
Mein liebes dickes Madamchen, sein."
Flugs fliegen die Vögel zum kleinen Haus,
Schlüpfen ein und aus
Und plappern vergnüglich:
"Gottlob, die Sache geht vorzüglich!"
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Und allsogleich baun sie im Kästchen
Ein trauliches Nestchen;
Vertilgen ringsum zu Nutz und Pläsir
Den Schneck, den Wurm, das Käferthier;
Vergeßen auch nicht, in allen Ehren
Sich zu vermehren. –
Und als der Herr, der so edel gehandelt,
Dann später mal unter dem Baume gewandelt,
Da haben die Vöglein, um sich dankbar zu zeigen,
Ihm Was gepfiffen auf allen Zweigen;
Und Jedes, weil sie ihm gar so gut,
Macht ihm ein Kleckschen – pitsch! – auf den Hut.
Auf die Frage geschrieben,
Ob die Staare wohl blieben,
vom Onkel Wilhelm, der
auch vielmals grüßen läßt.
Wiedensahl Febr. 1895.

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