1299. An Nanda Keßler

1299. An Nanda Keßler


Mechtshausen 22. Mai 1901.


Meine liebe Nanda!

Der Frühling ließ lange auf sich warten. Nun ist er endlich da und macht die Welt wieder merklich enger durch seine Fülle von Blättern. Aber das Necken kann er nicht laßen. Mitunter drückt er das Thermometer bei Nacht auf Null Grad herab, was manche Bohne nicht leiden kann, besonders, weil dabei kalte Winde aus Osten blasen. Und dann dieser ewige Sonnenschein. Da muß der Landmensch pumpen und Waßer tragen, daß ihm die Schwarte knackt, während der Stadtmensch im Schatten hockt und das herrliche Wetter lobt. Übrigens darf ich nicht schelten. Ich wandle doch sehr viel und nicht ohne Behagen unter den blühenden Bäumen und zuweilen im Buchenwald.

Hast du denn Nelly schon eingeführt in die höhere Bildungsstätte am schönen See in der Schweiz? Ich hoffe, daß das gute Mädel dort gut verpflegt und gut behandelt wird und, wenn die Zeit um ist, gesund und fröhlich zurück kehrt als eine fertige Dame.

Leb wohl, liebe Nanda! Mit den herzlichsten Grüßen an dich und alle, die zu dir gehören,

Dein alter

Onkel Wilhelm.

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