1363. An Nanda Keßler
1363. An Nanda Keßler
Mechtshausen 14. Juni 1902.
Meine liebe Nanda!
In diesem Frankfurt hat es mir mal wieder sehr gut gefallen.
Auch die Heimfahrt an den Städten, Hügeln und Burgen vorüber war angenehm, zumal, als ich in Gießen den alten Ernährungsschlauch durch ein Brödchen, ein warmes Würstchen und eine Flasche Hochheimer in eine günstige Stimmung gebracht hatte. So fuhr ich denn, behaglich wohlwollend dämmerhaft der Welt und der Menschen gedenkend, meist ohne Gesellschaft bis Seesen, wo das für mich bestellte Fuhrwerk bereits wartend am Bahnhof stand.
Zuhaus fand ich es stiller als sonst, da die drei munteren Kleinen nebst der Mama schon fort waren nach Münster.
Im Garten hatten sich meine vegetabilischen Freunde nur mäßig entwickelt. Es war inzwischen für Kraut und Vieh und Mensch doch gar zu kalt und naß gewesen. – Von den grad ausgeflogenen Meisen lagen vier todt im Grase deshalb.
Meine Ahnung wegen der Photographien ist eingetroffen; sie sind vergriffen. Aber wenn ich wieder nach Frankfurt komme, will ich mich extra "abnehmen" laßen, damit mein erzväterliches Bildniß in deinen Besitz kommt.
Bleib gesund, liebe Nanda, mit deinen Kindern, und vergeßt nicht, daß ich zu Denen gehöre, die sich freuen, wenn es Euch gut geht.
Stets dein getr. Onkel Wilhelm.