1372. An Johanna Keßler

1372. An Johanna Keßler


Mechtshausen 18. Aug. 1902.


Liebste Tante!

Wo wohnen und wandeln Sie jetzt? Daheim oder in Wirthshäusern weit weg? Das möcht ich gern wißen.

Wir hier lauern noch vergebens auf den Sommer. Kalt und naß, mit wenigen Ausnahmen, so lautet der Wetterbericht. Doch die Gemüse, mit Ausnahme der Gurken, sind vortrefflich gediehen dabei; auch natürlich das Unkraut; besonders der Löwenzahn. Und hier muß ich der Wahrheit die Ehre geben: Ihr französischer Löwenzahn ist doch etwas anders geartet. Blumen-Schmidt in Erfurt zieht und versendet ihn ebenfalls. Er wird angehäufelt, damit die Sproßen möglichst lang unter der Erde bleiben.

Im Feld geht der Wind über die Roggenstoppeln. Schon hör ich die Dreschmaschine von ferne brummen und in der nahen Scheune die Flegel klappen. Es naht der Herbst. Längst sind unsere Vögel verstummt. Die Äpfel schwellen; es fehlt nur der Sonnenschein, damit sie gehörig zur Reife kommen.

Inzwischen war ich neulich mal wieder in dem katholischen Münster, wo beständig die Glocken klingen. Aber trotzdem gefällt es mir gut daselbst.

Meine Neffen, der hiesige und der Hattorfer, wollen demnächst in den Sand und das Meerwaßer bei Borkum. Hoffentlich erwischen sie noch ein paar günstige Wochen.

Leben Sie wohl, liebste Tante! Mit herzlichen Grüßen an Sie und Letty, an Hugo und Harry.

Ihr getr. Onkel

Wilhelm.

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