1474. An Nanda Keßler
1474. An Nanda Keßler
Mechtshausen 20. Nov. 1904.
Meine liebe Nanda!
Mit Vergnügen erseh ich aus deinem Brief, wie ihr in Kunst und Wißenschaft so äußerst betriebsam seid. Besten Erfolg! Hübsch bunt wird das Feld, wenn man viel durcheinander sät.
Also die Verfaßerin des Programms, das du mir zugesandt, hat euere fremdsprachliche Bildung gar schnöde verkannt. Wie ärscherlich! Du aber, wohl im ersten Verdruß, hattest deinerseits das Werk viel zu leicht eingeschätzt, worauf natürlich die deutsche Reichspost, mit gerechterer Wage wägend, mich sofort beim Empfang zur Anerkennung seines höheren Werthes in Anspruch nahm. Auf deinen Wunsch hin send ich es dir nunmehr dankend zurück.
Daß ich versprochen haben soll, über Buddhismus noch weitere Auskunft zu geben, ist ein liebenswürdiger Irrthum. Trotzdem will ich thun, was ich kann, dir gefällig zu sein, indem ich das schöne Buch "Buddha von Oldenberg" zur gründlichen Belehrung empfehle.
Ihr, wie du schreibst, lebt im freundlichsten Sonnenschein; wir dagegen sitzen im dichtesten Nebel. Den Bäumen vor meinem Fenster ist das letzte Blatt aus den Händen gefallen; doch tröstlich durch sie hindurch schimmern mir bereits neugrünende Roggenfelder entgegen, zum Zeichen unermüdlichen Lebensdrangs aus der Tiefe nach oben.
Leb wohl, liebe Nanda. Sei mit den Kindern viel herzlich gegrüßt vom
Onkel Wilhelm. [229]