113. Der Eierritt und das Eierlesen in Haid bei Saulgau.

Dasselbe fand zur Osternzeit an einem Sonn- oder Feiertage statt. Zuvor wurde von ledigen Burschen ausgemacht, wer die beiden Reiter sein sollten; der eine mußte die Eier auflesen und der andere während dieser Zeit nach Saulgau reiten. Ungefähr hundert Pfähle wurden längs der Straße vom Wirtshause an in gehöriger Entfernung in den Boden geschlagen. Sie mußten so hoch sein, daß der Reiter das Ei bequem langen konnte. Der Kopf jeden Pfahles war mit einem Kranz von Blumen verziert, den die ledigen Mädchen besorgten.

Nach dem Mittagessen ging das Fest erst an, wozu sich alle Einwohner des Orts und viele Auswärtige einfanden. Alles versammelte sich zur festgesetzten Stunde vor dem Wirtshause. Die beiden Reiter tanzten hier im Hofe mit schon vorher hiezu bezeichneten Mädchen die sog. »Vortänze«. Jeder Reiter hatte eine weiße Hose an, kein Wamms über sein weißes Hemd, aber schöne rote Hosenträger; beide Aermel waren mit Bändern verziert, um den Leib trug er eine Schärpe und auf dem Kopfe ein rotes Käppchen. Die mitspielenden Mädchen mußten weiße Schürzen haben, einen Kranz auf dem Kopfe und einen Strauß in der Hand.

Nach dem Vortanz begann der Eierritt. Der eine Reiter [86] ritt Saulgau zu und mußte bei seiner Rückkehr vom Bären ein gewisses Brod zum Wahrzeichen mitbringen. Der andere Reiter begann zu gleicher Zeit seinen Eierritt, d.i. er mußte jedes auf dem Pfahle liegende Ei einzeln auf seinem Pferde abholen; zuerst das äußerste und so fort, und in eine Wanne werfen, die halb mit Spreu angefüllt war. Der Wannenheber mußte sich beim ersten Pfahle nächst des Wirtshauses aufstellen und das ihm zugeworfene Ei auffassen und nachher in eine neben ihm stehende Schüssel legen. Er konnte dem Reiter seine Arbeit wesentlich erleichtern oder erschweren; denn ein geschicktes Auffassen verkürzte dem Eierleser den Weg. Beim ganzen Geschäft sollten aber nur wenige Eier zerbrochen werden. Das letzte Ei wurde irgend einer Person auf den Kopf geworfen, was ein allgemeines Gelächter verursachte.

Bei jedem Pfahl stund ein Mädchen, das auf die vorhin beschriebene Art gekleidet war. Da es aber auf der Haid nie so viel Mädchen gab, als Pfähle dastunden, so rückten sie eben mit dem Reiter nach und nach vor. Die Eier brachten die mitspielenden Mädchen mit.

Wäre der Eierreiter nicht vor der Rückkehr seines Kameraden fertig geworden, dann wäre die Würze des Festes verloren gegangen. Darum trat auch dieser Fall hier nie ein. War der Eierreiter mit dem Einsammeln der Eier fertig, so setzte sich der ganze Menschenschwarm in Bewegung und ordnete sich zum Zuge, um den rückkehrenden Reiter abzuholen. Voran trug ein Knabe und ein Mädchen die Fahne, an der ein Westenzeug und ein Nastuch hing. Das waren Gaben von den Wirtsleuten, den beiden Reitern bestimmt. Die Mädchen suchten nun auf diesem Hin- und Herwege ihre Sträuße an den Mann zu bringen. Nahm ein Jüngling [87] den dargebotenen Strauß an, so war dies ein Zeichen, daß er seine Geberin zur Tänzerin für diesen Abend auserkoren hatte; sie war noch außerdem zechfrei. Brachte ein Mädchen ihren Strauß nicht an den Mann, so wurde es zu seinem größten Aerger der Gegenstand des Gespöttes der ganzen Menge und konnte auf Zechfreiheit keinen Anspruch machen. Kam nun der Zug wieder beim Wirtshause an, so erhielten die beiden Reiter ihre Belohnung und hatten das Recht der Vortänze, die auch gleich getanzt wurden; hernach tanzten die ledigen Bursche, die Sträuße angenommen hatten. Später konnte tanzen, wer wollte.

Im Wirtshause nahmen die beiden Reiter mit ihren Tänzerinnen, und die Mädchen, welche beim Spiele mitmachten und ihre Sträuße anbrachten, mit ihren Tänzern an einem besondern Tische Platz. Die übrig gebliebenen Eier wurden von der Wirtin unentgeltlich für diese Gesellschaft eingeschlagen.

Ein solcher Tag war ein Freudentag für den ganzen Ort, der aber schon viele Jahre nicht mehr wiederkehrte. – Das Eierlesen hat fast die gleiche Bewandtniß mit dem in andern Gegenden, nur daß dort das Reiten wegfällt. Ein Mädchen liest die Eier von den Pfählen, die natürlich in diesem Falle nicht so hoch sind, auf, und ein lediger Bursche springt unterdessen in einen vorher dazu bestimmten benachbarten Ort 1.

Fußnoten

1 Diese, wie so viele andere Sitten der Gmünder und oberschwäb. Heimat verdanke ich meinem Freunde, Lehrer M. Grimm auf der Haid.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek