404. Die weiße Zipfelkappe.

Mündlich.


Es ist noch nicht gar zu lange, saßen in Markelsheim mehrere Mädchen Abends in der Spinnstube beisammen und erzählten einander Geistergeschichten. Zulezt ging's an ein Wetten: welche von ihnen sich am wenigsten fürchte, die solle Nachts zwölf Uhr auf den Gottesacker gehen und einem Todten die weiße Zipfelkappe abziehen und herbringen. Da machte sich eine, die Unerschrockenste von ihnen, auf und ging festen Fußes dem Kirchhofe zu. Wie sie hinkam, sah sie einen Mann mit weißer Zipfelkappe auf dem Grabe sitzen. Das Mädchen war nicht faul und riß sie dem Manne vom Kopfe und eilte heim zu den andern, bei denen sie glücklich ankam. Wie vom Blitze getroffen schauen diese die Verwegene an und sprachen kein sterbiges Wörtlein. Plötzlich, o Schrecken! hing sich eine bleiche Mannsgestalt außen vor das Fenster und rief wiederholt: »Komm raus, komm raus, gib mir meine Kappe wieder!« Wie Alles voller Bestürzung war und Eine die Andere anblickte, konnte sie nichts Eiligeres thun, als die freche Kamerädin schnell wieder hergeben heißen, was sie geholt habe. Anfangs wollte sie nicht recht, ließ sich aber doch bewegen. Sie machte das Fenster ein wenig auf und wollte dem bleichen Manne die Zipfelkappe hinausbieten. Der aber grinste sie an: »Bringe mir sie wieder dahin,[255] woher du sie geholt hast!« Es war nun nicht mehr anders zu machen, und das Mädchen soll die andere Nacht zur nämlichen Stunde mit der Zipfelkappe wieder auf den Kirchhof hinausgegangen sein. Sie fand den Mann wieder auf demselben Grabe sitzen und sezte ihm die verhängnißvolle Kappe auf. Er habe sie furchtbar angegrinst und kein Wörtlein gesprochen. Ihr Kopf habe von da an täglich zugenommen an Umfang und sei ungeheuer groß geworden; bald darauf starb sie 1.

Fußnoten

1 Ueber die geisterhaften Zipfelkappen: Rochholz A.S. I. 145. II. 68. 96. 150. 151. Vernaleken, Mythen etc. v. Oestreich 26. Stöber S. 263.

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